Ein Krieg, den Israel Netanjahu verdankt

Um einer Verurteilung wegen Korruption zu entgehen, hat Benjamin Netanjahu der Wehrkraft seines Landes maximalen Schaden zugefügt.

Israels Bürger verdanken den so erfolgreichen Überraschungsangriff der Hamas voran Benjamin Netanjahu: Um in seiner Funktion als Regierungschef einer Verurteilung wegen Korruption zu entgehen, ist er die absurde aktuelle Koalition mit Rechtsextremen und Ultrareligiösen eingegangen, die ihn darin bestärkt haben, die Macht des Obersten Gerichtshofs einzuschränken, der ihrer expansiven Siedlungspolitik als einziger Grenzen gesetzt hat.

Es spricht für die erstaunliche demokratische und rechtsstaatliche Reife des erst seit 1948 bestehenden Staatswesens, dass die geplante Justizreform zu täglichen Massenprotesten führte, die seine Bevölkerung seit Monaten in ein demokratisches und ein faschistoides Lager spaltet. Dass Netanjahu die Reform weder absagte noch zurücknahm, musste dazu führen, dass diese Spaltung auch quer durch alle staatlichen Institutionen geht. Dass Reservisten des Militärs erklärten, nicht zur Waffe zu greifen, solange Netanjahu bei seiner Justizreform bleibt, war zweifellos wesentlichster Grund dafür, dass die Hamas den Moment zum Losschlagen gekommen sah. Nicht minder waren Auseinandersetzungen innerhalb des Geheimdienstes zweifellos ein Grund dafür, dass der Mossad den Zeitpunkt, zu dem die Hamas angreifen würde, so gar nicht vorhersah, obwohl in Gaza zu diesem Zweck tausende Raketen angehäuft werden mussten. Zuletzt musste Netanjahu sogar den von ihm entlassenen Verteidigungsminister Joav Galant zurück ins Amt holen, um einen qualifizierten Mann an der Spitze der Truppen zu haben.

Schon bisher hat die Hamas täglich Raketen auf Israel abgefeuert, aber sie wurden meist abgefangen und forderten nur wenige Menschenleben. Dagegen forderten Israels Vergeltungsschläge, die zur Schonung der eigenen Soldaten meist aus der Luft erfolgten, meist Dutzende Todesopfer und das erzeugte bei vielen Menschen den Eindruck nicht minder verfehlten israelischen Verhaltens. Aber man muss zwischen Ausgangspunkt und Folge unterscheiden:  Hätte die Hamas keine Raketen auf Israel abgefeuert, so hätte Israel den Gazastreifen nicht  bombardiert. (Durch ein paar Monate erklärte Israel sogar einseitig, auf Vergeltung zu verzichten, um so vielleicht ein Ende der Angriffe zu erreichen, aber sie hörten in keiner Weise auf) Insofern ist absolut zutreffend, wenn die Regierungen aller zivilisierten Staaten jetzt erklären, dass Israel jedes Recht hat, sich mit allen Mitteln gegen den Überfall der Hamas-Terroristen  zu wehren.

Dass das vorerst so schlecht gelang, hängt abermals mit Benjamin Netanjahu zusammen: Aufgrund der von seinen ultrareligiösen Regierungspartnern noch mehr als bisher forcierten expansiven Siedlungspolitik wurden große Teile des Militärs zum Schutz dieser Siedlungen aufgeboten und haben an all den Stellen gefehlt, an denen die Hamas die Grenzbefestigungen zu Gaza jetzt durchbrochen hat. Dass es ihr auf diese Weise gelang, nicht nur hunderte Israelis zu töten, sondern auch mindestens hundert israelische, aber auch ausländische Bürger, voran Frauen und Kinder, zu kidnappen, verleiht der militärischen Auseinandersetzung eine neue Dimension: Die Hamas ist in der Lage, ihre Raketenstellungen im Gazastreifen mit einem Schutzring Gekidnappter zu umgeben. Damit ist es für Israels Armee nicht mehr möglich, diese Stellungen aus der Luft zu bombardieren und auszuschalten. Aber selbst wenn sie, wie das wohl geschehen wird, mit Bodentruppen gegen sie vorgeht, wird es nahezu unmöglich sein, die Forderung zu erfüllen, die Geiseln nicht zu gefährden: man kann auch aus Panzer – Geschützen nicht Raketenstellungen beschießen, ohne die sie umgebenden Menschen dem Tod auszusetzen. Damit wird es der Hamas möglich sein, sehr lange sehr viele Raketen auf Israel abzufeuern. Natürlich wird Israels  Armee trotzdem irgendwann mit den Kämpfern der Hamas fertig, aber die Gefahr, dass deren vielleicht durch Wochen anhaltender Erfolg zu einem Umdenken in den umgebenden arabischen Ländern führt, lässt sich nicht völlig ignorieren. Vorerst haben die schiitischen Hisbollah – Milizen im Libanon nur einige wenige, eher symbolische Raketen auf Israel abgefeuert. Aber es ist denkbar, dass die Führung des Iran, die die Hisbollah lenkt, die Chance wittert, Israel doch “von der Landkarte zu tilgen”. Dann könnten mehrere hunderttausend Raketen aus dem Libanon auf Israel abgefeuert werden.

Obwohl sich derzeit eine entscheidende Verbesserung der Beziehung Israels zu seinen arabischen Nachbarn, sei es zu den Emiraten, sei es zu Ägypten oder gar Saudi- Arabien anzubahnen schien, könnte in der Bevölkerung dieser Staaten erneut jene Wut gegen Israel aufflammen,  die sie 1948 veranlasste, es gemeinsam anzugreifen, um die Israelis “zurück ins Meer” zu treiben. Die politische Führung wird dergleichen zwar nicht wollen, weil es die USA zum Schutz Israels auf den Plan riefe, aber der Druck aus der Bevölkerung könnte doch so groß werden, dass die politische Führung sich gezwungen sähe, die erhoffte Verbesserung ihrer Beziehung zu Israel wieder aufzugeben.

Eine Katastrophe ist die Entwicklung in Israel für die Ukraine.  Republikaner und Demokraten werden keinen finanziellen Aufwand scheuen, um Israel in der aktuellen Situation maximal zu unterstützen, aber das könnte dazu führen, dass die von den Republikanern schon jetzt in Frage gestellten finanziellen Zusagen an die Ukraine unter die Räder kommen.

 

 

 

 

 

4 Kommentare

  1. es wäre g’scheiter, einen Kommentar zu schreiben, wenn man die tieferen und langfristigen Hintergründe kennen würde.
    A. die Vorbereitung dieses mörderischen Vorgehens ist mindestens 2 Jahre geplant.
    B. Ein wesentlicher Grund ist die Annäherung Saudi Arabien / Israel.
    C. Der interne Kampf der israelischen Gesellschaft hat den Zeitpunkt bestimmt.
    D. Netanyahu trägt natürlich eine Mitschuld, jedoch die betraf rein den Zeitpunkt……

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