Die winzige Chance auf Frieden

Der hohe Preis für Öl und Gas bremst den Klimawandel und lässt sich abfedern. Auch dem Frieden bleibt eine winzige Chance wenn die EU von der Ukraine lernt.

Die einzige – winzige – Chance auf absehbaren Frieden in der Ukraine besteht darin, dass Wladimir Putin zu zweifeln beginnt, dass er seinen Krieg in absehbarer Zeit gewinnt. Gleichzeitig müsste es ihm trotz eines solchen „Unentschieden“ möglich sein, vor seiner Bevölkerung zu behaupten, er hätte einen historischen Sieg errungen. Die wenig originelle Friedenslösung sähe dann wohl so aus, dass Wolodymyr Selenskyj für die Ukraine endgültig auf die Krim verzichtet und dem Donbass maximale Autonomie gewährt, während Putin verzichtet, die Ukraine zu „entnazifizieren“ und zu „demilitarisieren“. Stattdessen verpflichtete sich ihr (riesiger) Rest zu immerwährender Neutralität nach dem Muster der Schweiz, dürfte also nicht der NATO angehören, wohl aber ein Heer haben. Indem USA, Großbritannien, Frankreich und Russland die neuen Grenzen garantieren, wären sie ausreichend sicher.

Selenskyj hat mehrfach angedeutet, dass er das akzeptierte. Putin hat bei seiner letzten Wortmeldung „Entnazifizierung“ und „Demilitarisierung“ weggelassen. Ich schließe daher nicht völlig aus, dass diese Lösung eine Chance hat, wenn Putins militärische Probleme zu- statt abnehmen. Deshalb hoffe ich, dass ukrainische Piloten entgegen allen Dementis polnische MIG- 9 von grenznahen Flugplätzen abholen und dass die weitere 1,5 Milliarden-Militärhilfe von EU und USA Kiew rechtzeitig in Form von Boden-Luft- Raketen erreicht.

Trotzdem wird Putin nur dann nachgeben, wenn die „Sanktionen“ Russlands Wirtschaft gleichzeitig in einem Maße schaden, das ihn einen Aufstand im eigenen Land befürchten lässt. Derzeit ist diese Furcht gering, denn die Mehrheit der Russen glaubt die Lügen seiner Medien. Aber das kann sich ändern, wenn russische Soldaten auf Heimaturlaub kommen und vor allem, wenn sie in Särgen heimkehren. Als Russland seinerzeit in Afghanistan Krieg führte, haben diese Särge Leonid Breschnew – freilich erst nach neun Jahren – zum Rückzug blasen lassen.

Deshalb wäre es so wichtig, weiter Waffen zu liefern und die russische Wirtschaft so rasch und energisch wie möglich in einem Ausmaß zu schädigen, das Putin Kopfzerbrechen bereitet. Einen Moment sah es so aus, als ob das gelänge: Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, kündigte an, man würde Russland mach dem Muster der USA kein Öl und bis Ende des Jahres zwei Drittel weniger Gas abkaufen, statt dass er dafür eine Milliarde Euro pro Tag erlöst. Doch der EU-Gipfel in Versailles beließ es bei einer Absichtserklärung. Ein Beschluss scheiterte am Widerstand Deutschlands und an Putins Drohung, Staaten, die ihm kein Öl abnehmen, auch kein Gas zu verkaufen. Ohne russisches Gas, so erklärte Kanzler Olaf Scholz, käme die deutsche Wirtschaft in unlösbare Probleme und Karl Nehammer sah es für Österreich ähnlich.

Je mehr es der EU gelingt, ihre Absicht zumindest teilweise zu verwirklichen, desto besser jedenfalls für den Erdball: Je weniger Öl und Gas wir verbrauchen, desto besser schützen wir uns vor dem Klimawandel und desto größer die winzige Chance auf Putins Einlenken.

Desto höher fällt im Moment freilich auch die Inflation aus: Wie während des Ölschocks der Siebzigerjahre könnte sie um die 8 Prozent erreichen und lässt sich in keiner Weise im Wege der Geldpolitik der EZB bekämpfen, weil sie in keiner Weise mit ihr zusammenhängt. Der Öl/Gas- Preis ist vielmehr kaum je in seiner Geschichte den Gesetzen des Marktes oder anderen ökonomischen Gesetzen gefolgt, sonst müsste er bei einem derart begrenzten Gut weit höher sein. Wenn der Preis steigt, dann durchwegs aus marktfernen Gründen: In den 70erJahren explodierte er zum Beispiel, weil die OPEC-Staaten sich zur Drosselung der Förderung verabredet hatten, um eine andere Israel-Politik durchzusetzen. Im Allgemeinen sorgten die USA freilich für einen viel zu geringen Preis, indem sie den Golfstaaten drohten, ihnen sonst keine Waffen zu liefern. Derzeit sind sie selbst weltgrößter Öl/Gas-Produzent und brauchen einen eher guten Ölpreis, weil ihr Fracking Öl und Gas am kostspieligsten fördert. Und natürlich braucht Putin einen hohen Preis, um seinen Krieg zu finanzieren und setzt dabei, wie überall, auf Drohung: Wenn die EU Russland sanktioniert, so erklärte er, wird sie eben den dreifachen Gaspreis zahlen.

Wenn man in der EU nur ein Zehntel des Durchhaltevermögens besitzt, das Wolodymyr Selenskyj vorlebt, beweist man ihm, dass er sich einmal mehr verrechnet. Die Preiserhöhung, die sich daraus ergibt, dass man Flüssiggas teuer zukaufen muss, hat längst nicht dieses Ausmaß. Dass Gas und Öl derzeit teurer als bisher sind, nähert ihren Preis einer vernünftigen Höhe an und unterstützt den entscheidenden Kampf gegen den Klimawandel besser als jede CO2-Steuer. Zugleich lässt die unweigerliche Anspannung sich abfedern, indem man besonders betroffene Unternehmen, etwa Speditionen oder Stahlerzeuger, finanziell unterstützt, Geringverdienern Zuschüsse gewährt und die Mineralölsteuer in dem Ausmaß reduziert, in dem sie dem Staat bei einem hohen Ölpreis mehr einbringt. Die EU mit dem dreieinhalbfachen BIP pro Kopf sollte das ungleich länger als Russland durchhalten können. Aber es dauerte gar nicht so lang, wenn man dem Ratschlag von WIFO-Chef Gabriel Felbermayr folgte: so schnell wie möglich soviel wie möglich in die Erschließung alternativer Energien zu investieren. Statt, so füge ich an, eine idiotische Schuldenbremse einzuhalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Argumente für einen Doppelsieg

 

Die Anstrengung, ein Öl und Gas-Embargo gegen Russland durchzuhalten, wird doppelt belohnt: der Klimawandel wird genauso massiv gebremst wie Putins Krieg in der Ukraine         

 

 

Eine Milliarde Euro pro Tag erlöst Russland aus dem Verkauf von Öl und Gas – das macht es Wladimir Putin leicht, einen kostspieligen Krieg zu führen. Von Beginn an haben Kriegsgegner daher gefordert, ihn von diesen Einkünften abzuschneiden und die Fernsehbilder von Frauen und Kindern, die vor seinen Raketen in die U-Bahn Schächte Kiews geflohen sind, haben diese Forderung unabdingbar gemacht. Als erster hat US-Präsident Joe Biden beschlossen, Putin kein Öl und Gas mehr abzunehmen, Boris Johnson hat sich für Groß Britannien angeschlossen, und Tags darauf hat der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans erklärt, dass die EU ihren Bezug bis Ende des Jahres um zwei Drittel reduzieren wird. Nur zwei Länder haben Probleme, in diesen Chor einzustimmen: Österreich, das dank der Russlandbegeisterung von Ex-OMV-Chef Rainer Seele, Ex- ÖIAG-Chef Siegfried Wolf und Ex-Bundeskammerpräsident Christoph Leitl trotz aller Warnungen die relativ weltgrößte Abhängigkeit von russischem Gas aufweist und Deutschland, das in Europa den absolut größten Betrag dafür bezahlt. Denn Wladimir Putin hat gedroht, der EU den Gashahn zuzudrehen, falls sie sich dem Öl-Embargo anschließt. Er ist dabei insofern im Vorteil, als er nicht darauf angewiesen ist, gewählt zu werden: Selbst wenn es seiner Bevölkerung noch so schlecht ginge, weil Russlands Wirtschaft ohne die Milliarden, die es aus dem Verkauf von Öl und Gas erlöst, zusammenbricht, kostete ihn das nicht sein Amt: Er fälscht nur einmal mehr die Wahlen. Demgegenüber ist unsicher, ob Österreicher oder Deutsche ihre Regierung wiederwählen, wenn sie ihre Wohnungen im kommenden Winter nur mehr auf 19 Grad erwärmen könnten, wenn Benzin zwei Euro pro Liter kostet und die Inflation wie in den Siebzigerjahren um die acht Prozent liegt, weil jede Produktion Energie braucht und jedes Produkt transportiert werden muss. Olaf Scholz hat schon erklärt, dass Deutschland sich dem Embargo nicht anzuschließen vermag, und in Österreich hat die Industriellenvereinigung erklärt, dass 200.000 Arbeitsplätze direkt an Gas-intensiver Produktion hängen.

Allerdinges sind so wirtschaftskundige Personen wie WIFO-Chef Gabriel Felbermayr oder Energieexperte Walter Boltz der Ansicht, dass Österreich den Engpass sehr wohl bewältigen kann: Der Gas-Einkauf in Norwegen oder Katar und der Zukauf von Flüssiggas käme uns nur eine Weile viel teurer und bremste die Konjunktur. Die deutsche Akademie der Wissenschaften Leopoldina teilt diese Ansicht bezüglich Deutschlands. Das Problem dort wäre sogar deutlich geringer, wenn die Grünen ihren Widerstand gegen eine Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke aufgäben, und dieses Einlenken wäre auch denkbar hilfreich für Österreich, das bekanntlich auch ständig Atomstrom bezieht. So werden die Deutschen jedenfalls Kohlekraftwerke in Reserve halten und die EU war so weise, Atomenergie unter die „grünen“ Energien zu zählen – überall werden daher neue Atomkraftwerke entstehen.

Um seine Probleme abzufedern, muss das Embargo zwangsläufig eine gemeinsame Aktion der EU sein und wird sich in Etappen gestalten: Die USA, die selbst Öl fördern, konnten es wie Groß Britannien sofort in Gang setzen. In der EU sollen die Länder am schnellsten folgen, für die es, wie etwa für Spanien, am leichtesten ist. Nach jeder Abbestellung kann man abwarten, ob Putin den Gashahn wirklich zudreht – erst am Ende wird man ganz auf Öl wie Gas verzichten. Wenn es läuft wie geplant, sollte der Druck des sukzessiven Wegfalls russischer Lieferungen den Ausbau alternativer Energie ebenso drastisch beschleunigen wie das Einsparen von Energie durch das Einpacken von Gebäuden und durch die Verringerung des Individualverkehrs. Der Lohn für diesen Kraftakt wäre ein historischer Doppelsieg: Es würde nicht nur rechtzeitig Klimaneutralität erreicht, sondern erstaunlich bald, so behaupte ich, flehte Putin uns an, wieder Gas von ihm zum kaufen. Denn auch wenn ihm China zwischenzeitlich mehr davon abkauft, verdient er damit längst nicht, was er bei der EU verliert. Es wäre der größte denkbare Sieg, ihm dann zu sagen: Danke, wir brauchen weder Ihr Gas noch Ihr Öl. Ich bin nicht so sicher, dass er zu diesem Zeitpunkt einen Sieg in der Ukraine errungen hätte, der ihn diese Antwort verschmerzen ließe.

Entscheidend für den Verlauf des Krieges ist nach Ansicht des deutschen Militärhistorikers und Generals a.D. Klaus Wittman, ob die Ukraine polnische MIG- Flugzeuge einsetzen und damit russische Tanks aus der Luft ausschalten kann. Er sagt auch, wie es dazu kommen könnte: Man müsste die polnischen Hoheitszeichen an diesen Maschinen nur durch ukrainische ersetzen und schon könnten ukrainische Piloten sie von grenznahen polnischen Flughäfen abholen. Die Ausrüstungslücke in Polen würde optimal durch die Lieferung modernster US-Jets geschlossen. Obwohl das völkerrechtlich zulässig ist, hat Polens Regierung offiziell erklärt, keine MIGs zu liefern. Wladimir Putin führt diesen Krieg auf der Basis von lauter Lügen – wenn Polens Regierung auch gelogen haben sollte, sollte man es unter die verzeihlichen Notlügen zählen.

Sollten Putins Truppen solcherart weiter massivere Verluste erleiden, und immer mehr Tote in die Heimat melden müssen, ist das die relativ größte Chance, Putin vielleicht dazu zu bewegen, den Krieg zu beenden – schon gar, wenn Russland gleichzeitig unter dem empfindlichen Geldverlust durch das Embargo stöhnt.

 

 

 

 

Ein Kommentar

  1. Herr Lingens, Ihrer Forderung „so schnell wie möglich soviel wie möglich in die Erschließung alternativer Energien zu investieren.“ stimme ich vollinhaltlich zu.

    Deshalb ist es für mich unverständlich, warum jetzt nicht Überlegungen getroffen werden, ein Donaukraftwerk in Hainburg zu bauen, das immerhin konstante 351 MW liefern könnte.

    Zur Erinnerung eine Rückblende in die Energiepolitik der SPÖ:

    1978 ließ SPÖ Kanzler Kreisky über ein bereits errichtetes (!) Atomkraftwerk abstimmen, junktimiert mit seinem Rücktritt falls es ein Nein gibt.

    Im Jahr 1984 war der damalige SPÖ Kanzler Sinowatz zu feige, um über die geplante Errichtung eines Donaukraftwerkes Hainburg das Volk abstimmen zu lassen, er beugte sich dem Druck von Au-Besetzern; dies war die Geburtsstunde der Grünen.

    Und im Mai 1991 ließ der Wiener SPÖ Bürgermeister Zilk über den Plan, das Donaukraftwerk Freudenau zu errichten, das Wiener Volk befragen mit dem Ergebnis, dass 73 % sich für den Bau des Freudenauer Kraftwerkes – das seither klaglos funktioniert – aussprachen.

    Wenn schon die Politiker zu feig sind um einen Entschluss zu fassen in Hainburg ein Kraftwerk zu errichten, dann sollten sie sich beim ehemaligen Bürgermeister Zilk eine Anleihe nehmen und das Volk darüber zu befragen.

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