Und Deutschland bewegt sich doch

Angela Merkel und Emmanuel Macron wollen dem “Süden”, voran Italien, mit 500 Milliarden Euro “Zuschuss” unter die Arme greifen. Sebastian Kurz ist dagegen.

 Gemeinsam mit Emmanuel Macron präsentierte Angela Merkel eine Initiative, wonach die EU am Kapitalmarkt 500 Milliarden Euro aufnehmen und damit von Covid-19 besonders betroffene Regionen unterstützen soll. Es gibt dabei zwar Unterschiede zu den vom “Süden” erhofften Eurobonds – doch größer ist die Ähnlichkeit: Die Staaten der EU hafteten gemeinsam fürs aufgenommene Geld.

Dass Deutschland das erstmals akzeptierte, ist ein Fortschritt. Ob die konkrete Initiative es auch ist, scheint mir so ungewiss wie ihr Zustandekommen. Denn vorerst steht dem nötigen EU-Beschluss der Widerstand Österreichs, Hollands, Schwedens und Dänemarks entgegen. Wobei ihn Sebastian Kurz- aus den meines Erachtens falschen Motiven- anführt: Er lehnt gemeinsame Schulden unverändert ab.

Es ginge viel einfacher

Ein richtiges Motiv sähe ich darin, dass es eine Initiative ist, bei der der hohe Betrag den Mangel an “dringend nötigen Strukturreformen” verdeckt. Wohl erhält die EU Geld zu derzeit deutlich geringeren Zinsen als etwa Italien oder Spanien, aber viel einfacher wäre es, wenn beide es, wie Bundesstaaten der USA, selbst zu fast gleichen niedrigen Zinsen erhielten. Alles was es dazu brauchte, ist das gesicherte Recht der EZB, so viele Anleihen gleich welchen EU- Staates anzukaufen, wie sie für nötig hält. [1] Wenn klar ist, dass sie dabei keiner Beschränkung unterliegt, wären es im Übrigen gar nicht so viele: Mario Draghi brauchte nicht Milliarden Euro anzukaufen, um dessen Kurs zu stabilisieren, nachdem klar war, dass er es könnte und täte. Genau so kann die EZB Zinsen stabilisieren. Ihre Unterschiede für die Staaten der EU wären dann so marginal wie für die Bundesstaaten der USA und der Wettkampf aller Unternehmen würde ungleich fairer.

Merkels Sprung vorwärts

Wie weit Merkel sich dennoch bewegt hat, wird klar, wenn man sich erinnert, wie sie, dezidierter als selbst Kurz, versprach: “Keine Eurobonds, solange ich lebe.” Auch Kurz will sich freilich nicht so eindeutig gegen “Solidarität” positionieren: Er habe nichts dagegen, so sagte er, dass Italien oder Spanien Geld erhielten – aber nicht als “Zuschuss”, sondern als “Kredit”.

Für seine Position kann er §125 des EU-Vertrages ins Treffen führen, der ihr die Finanzierung eines Mitgliedstaates verbietet: “Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten …von Mitgliedstaaten.” Nur bricht auch Merkel EU-Recht nicht, denn §122 lautet: „Ist ein Mitgliedstaat aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen…von Schwierigkeiten betroffen …so kann der Rat beschließen, (ihm) unter bestimmten Bedingungen finanziellen Beistand… zu gewähren.

Der Unterschied zu Eurobonds bleibt

Der Unterschied zwischen den beiden Paragraphen ist der Grund dafür, dass Merkel solchen Wert auf den Unterschied zwischen Eurobonds und ihrer Initiative legt: Es handle sich dabei eben nicht um “die Abgeltung von Verbindlichkeiten” schwächelnder Mitgliedstaaten, sondern um “finanziellen Beistand” für Regionen, die mit der Covid-19 Epidemie unter einer “Naturkatastrophe” gelitten haben.

Daher übergäbe die EU-Kommission den betroffenen Staaten das Geld auch nicht zur freien Verwendung, sondern entschiede selbst, welche Projekte sie in welcher Region in Angriff nähme. Darin scheint mir ein gewaltiges Problem zu liegen: Wüsste sie wirklich die besten Projekte? Und welche Region bekäme wie viele?

Karlsruher Richter könnten, falls sie angerufen würden, zu dem Schluss kommen, dass nur Gesundheits-Projekte zulässig sind, weil der Anlass ja nicht wirtschaftliche Schwäche, sondern die Pandemie gewesen ist. Und tatsächlich beruhte die Krise, etwa Italiens (Spaniens, Portugals), ja in erster Linie darauf, dass der “Sparpakt” alle seine Investitionen – natürlich auch die in “Intensivbetten”- hemmte und dass sein Lohnstückkostenabstand zu Deutschland es ständig Marktanteile kostet. Covid-19 hat diese Probleme nur drastisch verschärft.

Initiativen, die nicht nur die Erholung der EU von Covid-19 beförderten, sondern ihre Zukunft sicherten, wären daher: Den Sparpakt nicht nur jetzt außer Kraft zu setzen, sondern aufzuheben; Staatsschulden als notwendige Voraussetzung für Wirtschaftswachstum zu akzeptieren; die deutschen Löhne und damit die Kaufkraft des “Nordens” anzuheben; der EZB die Rechte der FED einzuräumen.

Der große Unterschied

Wenn immerhin die Merkel-Macron Initiative zustande kommt, wird entscheidend sein, ob ihre Milliarden den Betroffenen als “Geschenk” oder – wie Kurz es fordert- als “Kredit” zugute kommen. Der Kredit erhöhte nicht zuletzt Italiens (Spaniens) Schulden, statt zuerst seine Erholung sicherzustellen. Das ist exakt der Unterschied zum Marshall-Plan, mit dem die USA Österreich (Deutschland) zur Hilfe kamen: Vier Fünftel des Geldes waren ein Geschenk, ein Fünftel ein Kredit, der letztlich erlassen wurde.

Ich will nicht darauf eingehen, warum ich den Marshall-Plan für eine christlich-soziale im Gegensatz zu einer primär egoistischen Vorgangsweise halte, sondern nur ins Treffen führen, was hierzulande nie anzufügen vergessen wird: Dass die USA keineswegs nur uneigennützig gehandelt, sondern sich einen künftigen Markt erschlossen hätten. Um wie viel mehr müsste die Erholung Italiens daher zentrales Anliegen eines Bundeskanzlers sein, der weiß, dass dieses Land nur 0,4 Prozentpunkte hinter den USA unser drittgrößter Export-Markt ist.

[1] Derzeit darf die EZB nur ein Drittel der ausstehenden Anleihen jedes Landes und die nur auf dem Umweg über Banken kaufen.

 

 

 

Ein Kommentar

  1. Bei diesem (mittlerweile) 750 MrdEUR Projekt ist noch sehr viel unausgegoren und es wäre politisch klug, wenn die EU die offenen Punkte so rasch wie möglich klären könnte. Ansonsten wird die Unausgegorenheit den Widerstand stärken.

    1) So wie ich es verstehe, haften die EU Mitgliedsstaaten NICHT gemeinsam (d. h. NICHT zur ungeteilten Hand bzw. gemeinschuldnerisch). Das Ganze soll über das Budget der EU Kommission laufen. Wenn dem so ist, dann haftet Deutschland beispielsweise nur für seine verpflichtenden Beiträge zum EU Budget. Ob dieses Konstrukt kapitalmarktfähig ist, wird sich zeigen. Ich vermute eher, dass die Investoren gemeinschulderische Haftungen zur ungeteilten Hand verlangen werden. Dann wäre es allerdings ein echter Eurobond. Dass die EU Kommission alleine, d. h. ohne gemeinschuldnerische Haftung der Mitgliedsstaaten, so viele Schulden aufnehmen kann, kann ich mir nicht vorstellen. Sie hat ja keine wesentlichen Einnahmen bzw. Cash Flow aus eigener Kraft.

    2) Dass die EU unter gewissen Umständen Mitgliedern finanziellen Beistand leisten kann, ist schon richtig, ABER: soweit ich die bisherigen ‘Expertenmeinungen’ verstehe, ist es der EU Kommission laut Lissabon Vertrag nicht erlaubt, Schulden aufzunehmen. Karlsruhe freut sich schon…

    3) Im übrigen ist die derzeit vorgeschlagene Konstruktion keine ‘Kraftanstrengung’ (Merkel) für irgendjemanden. Kein Mitgliedstaat, kein Steuerzahler muß wegen dieser 750 Mrd. auf irgendetwas verzichten. Die Schulden der EU Kommission werden außerhalb der Bücher der Mitgliedsstaaten geführt, die Zinsen werden nahezu null sein und die Tilgungen werden nicht mehr zu unseren Lebzeiten stattfinden. Und für die Empfängerstaaten sind es Zuwendungen.

    4) Die EU Kommission hat ein “Staff Working Document: Identifying Europe’s Recovery Needs” veröffentlicht und ich verlinke es unten. Auf 50 Seiten wird erklärt, wie man zum Verteilerschlüssel der 750 Mrd auf Seite 51 kommt. Das wird spannend, wenn die Liberalen sehen, dass Ungarn – gemessen am BIP – den größten Anteil der Zuwendungen bekommen soll.

    https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/economy-finance/assessment_of_economic_and_investment_needs.pdf

    5) Den Marshall Plan sollte man besser nicht zu oft als Vorbild erwähnen, weil sonst jemand auf den Gedanken kommen könnte, sich die Auflagen anzuschauen, unter denen damals Geld vergeben wurde (u. a. ein High Commissioner pro Land). Wenn man aber schon vom Marschall Plan spricht, dann sollte man fragen, warum Länder wie Deutschland und Österreich (vielleicht andere auch?) heute immer noch die Gelder des Marshall Plan verwenden (in Österreich der ERP Fonds, in Deutschland das ERP Sondervermögen, das die KfW verwaltet). Ja, diese Gelder wurden Deutschland und Österreich damals geschenkt. Jetzt, wo diese Gelder dazu beigetragen haben, dass wir eines der reichsten Länder der Welt werden konnten, sollte man sich da nicht überlegen, diese Gelder zurückzugeben? Wir brauchen sie nicht mehr und andere könnten sie gut gebrauchen. Außerdem finanziert der ERP Fonds hauptsächlich die Großindustrie, die diese Mittel auch problemlos am freien Markt auftreiben könnte.

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