Industrielle gegen Staatsschuldenbremse

Der wichtigste Industrie-finanzierte arbeitgebernahe deutsche Thinktank kritisiert die Staatsschuldenbremse. Doch das deutsche Budget 2024 sichert fortgesetzte Rezession.

 Noch werden Österreichs schrumpfender Wirtschaft fürs nächstes Jahr bessere Zahlen als der deutschen vorhergesagt. Aber das kann sich umkehren, weil sie im Allgemeinen phasenverzögert der Entwicklung unseres größten Handelspartners folgt und Deutschlands Rezession sich weiter vertiefen dürfte. Denn FDP-Finanzminister Christian Lindner verschärft die Bremsung, die durch die erhöhten Zinsen der EZB eingeleitet wurde, durch ein “Sparbudget”. Politischer Hintergrund sind die schlechten Umfragewerte der FDP, die ihn veranlassen sein Profil – “ich garantiere die Einhaltung der Schuldenbremse” – zu schärfen. Weil eine Reihe von Ministern nicht sogleich sparen wollte, vergatterte er sie werbewirksam in persönlichen Briefen, das vorgegebene Sparziel einzuhalten: Im Budget 2024 sind für die nächsten Jahre nur Ausgaben von nur 445,7 Milliarden Euro vorgesehen – gegenüber 476,3 Milliarden Euro im Jahr 2023.

Nur das deutsche Militärbudget steigt dank der 100 Sondermilliarden, um die kaputtgesparte Bundeswehr notdürftig zu sanieren- sonstige Investitionen sinken. Am meisten das Sozialbudget: Bei der Gesundheitspolitik wird nach Corona mit einer gewissen Berechtigung gespart, aber Familienministerin Lisa Paus muss die geplante Kindergrundsicherung erheblich reduzieren, obwohl jedes fünfte deutsche Kind (wie jedes fünfte österreichische Kind) armutsgefährdet ist. SPD- Kanzler Olaf Scholz setzt dem keinen Widerstand entgegen, sondern unterstützt Lindner, hat er doch schon als Finanzminister Angela Merkls nicht verstanden, dass Sparen zwar eine private Tugend, aber laut Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelson volkswirtschaftlicher Unsinn ist. (Jedenfalls solange der Staat durch seine Ausgaben nicht Bürgern und Unternehmen Geld und Ressourcen streitig macht, was derzeit weit und breit nicht der Fall ist.) Letztlich wird Scholz` Regierung ihr Sparen mit einer denkwürdigen Wahlschlappe bezahlen und denkwürdige Wahltriumpfe der AfD erleben. Denn natürlich ist deren Aufstieg voran wirtschaftlich bedingt: In Zeiten gestiegener Inflation muss sich die “Lohnzurückhaltung” bei Geringverdienern, zu der die Mehrheit ihrer Wähler zählt, besonders schmerzlich auswirken, und der Rückgang des allgemeinen Wohlstandes durch verminderte Aufträge und verminderte Leistungen des sparenden Staates muss sie abermals am meisten treffen.

Aber der ökonomische Schwachsinn ist selbst in Deutschland nicht allgegenwärtig: Erstmals hat mit Michael Hüther der Direktor des Industrie- finanzierten, arbeitgebernahen “Institut der deutschen Wirtschaft Köln” (IW) massive Kritik an der Staatsschuldenbremse geübt: “Die traditionalistische Auffassung, wonach staatliche Schulden grundsätzlich die Inflation befördern und immer schlechte Schulden sind, ist ökonomisches Denken der Neunzigerjahre“, kritisiert er. (Denn bis etwa in die Neunzigerjahre verschuldeten sich die Unternehmen in ausreichendem Maße, während sie jetzt Nettosparer sind.) Vielmehr brauche es, so Hüther “eine Investitionsoffensive in Straßen, Brücken, Kommunikations- und Energienetze und in die Klimawende in der Industrie.“ Gleichzeitig widersprach Hüther auch der so unsinnigen wie populären Behauptung von Lindner & Co, dass Staatsschulden zu Lasten der kommenden Generationen gingen: Das Gegenteil stimme, “es liegt im Interesse der nächsten Generation, dass wir ihnen eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, eine moderne Infrastruktur und einen lebenswerten Kontinent hinterlassen.” Wenn Deutschland viel zu wenig Geld in seine Schulen, Verkehrsverbindungen oder die Digitalisierung stecke, wären es die nächsten Generationen, die am meisten darunter litten, während sie von getätigten Investitionen am meisten profitierten.

Alles von A bis Z richtig, nur hätte Hüther es seit Jahren sagen müssen – aber da wurde die Politik der schwäbischen Hausfrau in Deutschland von keinem führenden Wirtschaftsforschungsinstitut in Frage gestellt. Einzig der “Wirtschaftsweise” Peter Bofinger teilte Paul Samuelsons Meinung, dass Sparen (nicht Sparsamkeit) des Staates volkswirtschaftlicher Unfug ist. Aber erst jetzt, da dieser Unfug, (der im Vergleich mit den USA stets messbar war,) schmerzhaft spürbar wird, wagen Ökonomen ihn entsprechend zu benennen.

In Summe wird sich Lindners Sparbudget in Zeiten erhöhter Zinsen in einem deutlichen Minus des deutschen Wirtschaftsoutputs niederschlagen und das wird Österreich entsprechend spüren. Wie sehr, wird von unserem Budget abhängen. Erfreulicher Weise hat Karl Nehammer erklärt, dass er Sparbudgets in Zeiten nicht ausgestandener Krisen für verfehlt hält – aber Finanzminister Magnus Brunner hat bisher wie Lindner stets die rasche Rückkehr zum Sparen gefordert. Auch Österreichs Industrielle hinken ihren deutschen Kollegen hinterher: Sie halten die “Agenda Austria” für einen Thinktank, der ihre Interessen optimal vertritt. In Wirklichkeit ist die von der “Agenda Austria” vehement vertretene Staatsschuldenbremse für die Industrie exakt so hinderlich wie Hüther es beschreibt: Der Staat ist einer ihrer größten Auftraggeber – wenn er ihr, um zu sparen, weniger Aufträge gibt, muss es ihr schaden.

PS: Der “Vater der Atombombe”, Leó Szilárd, ist nicht, wie ich vorige Woche schrieb, an Krebs gestorben. Den vermochte er dank selbst ersonnener Kobaltbestrahlung zu besiegen, doch erlag kurz darauf einem Herzinfarkt.

 

 

3 Kommentare

  1. Lieber Herr Lingens, zählen die Sekretariate aller Parteien zu den Abonnenten Ihrer Kommentare? Einer Partei in Österreich, die Ihre Kommentar nicht liest und überlegt, ist wohl nicht zu helfen.
    Positiv gesagt: eine Partei, natürlich auch von der Opposition, die einen ihrer Gedanken aufgreift und daraus eine Aktion macht, die auch gut kommuniziert wird, kann mit dieser Aktion nur gewinnen (oder jedenfalls nie verlieren).
    Mit jeder dieser Aktionen würde Wählerinnen und Wählern signalisiert: wir bemühen uns wirklich um das Wohl des Landes. (Ich gebe gerne Detail-Tipps dazu, in Richtung Verständlichkeit für alle. Da haperts generell, leider.)

  2. Sehr geschätzter Herr Lingens.
    Dass der Staat der größte Auftraggeber ist, trifft zu. Darum ist dort auch der Hebel zur Budgetdisziplin vorhanden. Die überbordende Bürokratie sichert Wählerstimmen und kaschiert den Niedergang. Die Bürokratie behindert die Produktivität. Die Armut in der Bevölkerung ist dort am Größten, wo ungeniert Geld für Waffen fließt. Indien ist ein sehr gutes Beispiel. Dass der Dollar im Welthandel an Bedeutung verliert, wird zeigen wie gut es ist auf Pump zu leben und für Mordwerkzeuge den Wohlstand zu opfern. Ich gebe ihnen recht, Geldausgeben für eine sichere Energieversorgung wie nord stream ist gerechtfertigt. Diese Ausgabe war ja Grundlage der deutschen Produktivität. Die ist dahin. Jetzt wird wegen dem Bündnisfall die Aufklärung verhindert. Geht es noch? An den Taten wird man sie erkennen. Die Coronafolgen werden uns noch lange am Hals hängen. Für die AfD und die FPÖ ist das illustre politkabarett, trotz gehorsamer Leitmedien, derzeit leicht zu entzaubern und das Potential in der leistungswilligen und enttäuschten Bevölkerung zu bündeln.
    Wissen Sie wozu die Schuldenbremse eingeführt wurde? Sie zwingt Staaten Prioritäten zu setzen. Mit beiden Händen die Zuwanderung zu fördern geht auf Dauer nicht gut.

  3. Der think-tank meines Ex-Kollegen Schellhorn entwickelt sich immer mehr zu einem Unglück. Wer nicht begreift, dass Investitionen in die Infrastuktur keine Belastung, sondern einen Vorteil für kommende Generationen bringent, dem ist nicht mehr zu helfen. Den Unterschied zwischen produktiven und konsumptiven Investitionen sollte man in der volkswirtschaftlichen Einführung schon begriffen haben.
    Herr Lingens machen Sie weiter so, auch wenn der Mainstream weiterhin den Lemming-Weg bestreitet. Auch wenn ich nicht mehr an ökonomische Vernunft auf breiter Ebene glaube, es gibt keine Alternative. Dass Sie in ihrem fortgeschrittenen Alter noch immer weiter kämpfen, erfüllt mich mit jeglicher Hochachtung, zu der ich noch fähig bin

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