Wie Putin und OPEC das Klima retten

Der Beschluss der OPEC plus Russland sorgt mehr als das Aus für Verbrenner für weniger CO2 in der Atmosphäre. Aber es gibt es einen besseren Weg zu diesem Ziel.

Dass OPEC plus Russland beschlossen haben, die Öl/Gas -Förderung neuerlich zu drosseln, stabilisiert den Öl-Preis und  lässt die ärgerliche Teuerung länger anhalten. Gleichzeitig gibt es allerdings keine Maßnahme, die den Klimawandel ähnlich wirksam bekämpfte. Denn wenn man vom Methan aus Rindermägen absieht, hängt die Erwärmung der Atmosphäre so gut wie ausschließlich davon ab, wie viel Öl/Gas wir verbrennen. Der aktuelle Beschluss der OPEC +  bedeutet, dass täglich eine Million Barrels, (159 Millionen Liter) weniger Öl gefördert und verbrannt werden. Das bremst die Erwärmung stärker als die E-Autos, die täglich mehr auf die Straße kommen. Regierte Vernunft die Politik, so würde eine solche stete Verteuerung des Öls, in sozialverträglich abgefederter Form, einvernehmlich beschlossen.

Die EU hat soeben immerhin beschlossen, den Europäischen Emissionshandel über die Industrie hinaus auch auf die Bereiche Gebäude und Verkehr auszuweiten. Zirka  85 Prozent aller europäischen CO2-Emissionen sind damit zukünftig an Emissionsrechte gebunden. Die Menge dieser Emissionszertifikate soll kontinuierlich sinken, so dass sie sich sukzessive verteuern und der entsprechende Kostendruck sollte dazu zwingen, in allen Bereichen das jeweils Kostengünstigste zu unternehmen, um diesen Ausstoß zu verringern. Die EU ist zuversichtlich, auf  diese Weise ihre Klimaziele bis 2030 und weiter bis 2050 zu erreichen. Ich glaube zwar auch, dass sie damit große, den CO2-Ausstoß vermindernde technologische Verbesserungen erreichen wird, aber auch wenn das natürlich sinnvoll ist,  zweifle ich, dass es reicht, den Klimawandel zu verhindern.

Ich teile diesbezüglich die Einwände des deutschen Ökonom Heiner Flassbeck, der  in seiner Argumentation vom eingangs beschrieben Tatbestand ausgeht: Die Erwärmung  der Atmosphäre kann nur in dem Ausmaß vermindert werden, in dem weniger Öl/Gas gefördert und damit verbrannt wird. Global ist das trotz des Pariser Klimaabkommens in keiner Weise gelungen: Die CO2 Emissionen sind vielmehr weiter gestiegen, obwohl zumindest die EU seit zwanzig Jahren Gegenmaßnahmen ergriffen hat und es den Emissionshandel der Industrie längst gibt. Dieser Misserfolg liegt daran, dass die Erwärmung eben nicht in erster Linie davon abhängt, ob in der EU weniger CO2 aus Schloten und Auspuffen kommt -wobei nicht einmal das gelungen ist, aber vielleicht in Zukunft gelingen könnte – sondern ob weltweit weniger CO2 emittiert wird. Und diesbezüglich, so meint Flassbeck, unterliege man in der EU einem Denkfehler: Dass in der EU weniger Öl verbrannt wird, bedeute nämlich in keiner Weise, dass auch weltweit weniger Öl verbrannt würde. Vielmehr würde jeder Liter Öl, den die EU nicht kauft und verbrennt, sofort von Indien, China oder irgendeinem Entwicklungsland gekauft und verbrannt, um sich unserem Lebensstandard anzunähern. Das sei ökonomisch unvermeidlich und bedeute: Was immer wir weniger verbrennen, verbrennen andere mehr. “Nur wenn man sich das eingesteht”, meint Flassbeck, “kann es gelingen, ganz andere internationale Vereinbarungen zu treffen, bei denen die Produzenten fossiler Energieträger von Anfang an mit an Bord sind und eine kontinuierliche Reduktion der Förderung festgeschrieben wird. Nur ein solches globales Abkommen kann den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich alle erfolgreich anpassen können.”

Ich halte diese Einbindung der OPEC-Produzenten, voran Saudi Arabiens und der Golfstaaten nicht nur für notwendig, sondern auch für möglich. Durch Jahrzehnte haben sie sich nämlich der Forderung der USA nach einem niedrigeren Ölpreis gebeugt, um sich deren Waffenhilfe zu sichern    umso mehr sollten sie eine Vereinbarung akzeptieren, die ihnen zugesteht, den Ölpreis in einem festgesetzten Rhythmus und Ausmaß kontinuierlich zu erhöhen und damit  länger von ihrem Öl zu profitieren. Zwar unternimmt Joe Bidens  derzeit leider das Gegenteil: Aus Angst, dass die Teuerung ihn 2024 die Wahlen kostet, versuchte er – erfolglos – die  Saudis zur Rücknahme ihres Beschlusses zur Förderkürzung zu bewegen. Aber statt dass die EU sich von ähnlichen Ängsten leiten lässt, sollte sie die Führungsrolle übernehmen und Biden überzeugen, dass die zitierte Einigung mit der OPEC der bessere Weg ist, weil er zu messbaren Erfolgen im Kampf gegen den Klimawandel führen wird, mit denen alle Beteiligten bei den Wählern punkten können. Das Richtige – die kontinuierliche Verteuerung des Öls durch kontinuierliche Reduktion der Förderung  – kann nur geschehen, wenn alle Beteiligten begreifen, dass sie zu ihrem Vorteil ist, indem sie den Planeten schützt. Am Schwersten ist dieses Begreifen für die breite Bevölkerung: Sie wird die Verteuerung des Öls nur akzeptieren, wen sie sozialverträglich erfolgt. Dazu müssen die Regierungen über einen neoliberalen Schatten springen: Sie müssen die Steuern auf Arbeit in dem Ausmaß senken, in dem sie die Steuern auf Vermögen erhöhen. Man wird um den Abbau der gewaltigen Differenz zwischen Arm und Reich nicht herumkommen, wenn man die Zukunft lebenswert gestalten will.

Gleichzeitig könnte die EU, wenn sie begreift, dass ihr Bemühen, weniger Öl zu verbrennen, nicht linear dazu führt, dass weltweit weniger Öl verbrannt wird, zu einer weniger hektischen Anpassung unseres Öl/Gas -Verbrauchs kommen. Denn Menschen, die damit finanziell massiv überfordert sind,  sind sonst auch im Begreifen der notwendigen Verteuerung überfordert.

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Emmanuel Macrons unlösbare Aufgabe

Die Wut gegen Frankreichs Präsidenten entlädt sich aus einem absurden Grund. Frankreichs eigentliches wirtschaftliches Problem kann er beim besten Willen nicht lösen.

Dass man das Pensionsantrittsalter etwas erhöhen muss, wenn die Lebenserwartung dramatisch steigt, scheint relativ einsichtig. Dass die Anhebung von 62 auf 64 Jahre in Frankreich seit Monaten zu Straßenschlachten führt, hat einen simplen Grund: Nach Frankreichs Rechter, die sich Marine Le Pen als Präsidentin wünscht, wollen auch Frankreichs Sozialisten, aus deren Reihen er kommt, nichts mehr von Emmanuel Macron  wissen. Selbst dass er Frankreichs Größe (Grandeur) im Gespräch hält – bei seinem jüngsten Chinabesuch erklärte er, dass die Franzosen nicht daran dächten, die Taiwan – Politik der USA wie Vasallen zu kopieren- stieß zu Hause auf kleinliche Kritik: Es sei vielleicht ganz gut, dass die USA Taiwan schützen wollten.

Dennoch ist die Weltpolitik den Männern und Frauen auf der Straße reichlich egal. Sie demonstrieren gegen zwei Jahre weniger Pension, weil sie das Gefühl haben, dass ihr ohnehin geringer Wohlstand einmal mehr beschnitten wird. Die Überlegung, dass die massiv gestiegene Lebenserwartung rechnerisch nichts anderes zulässt, ist diesem Gefühl nicht gewachsen. Die Franzosen wollen, dass es ihnen besser, statt schlechter geht und sie können den wirtschaftlichen Zustand ihres Landes nicht nur aus Zahlen ablesen, sondern erleben ihn täglich: Die Arbeitslosigkeit liegt noch immer bei 7,1 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit verharrt bei 17,4 Prozent – in Deutschland gibt es ganz drei Prozent Arbeitslose.

Es war die Hoffnung, dass Macron diesen wirtschaftlichen Zustand grundlegend verändern würde, die seiner inhomogenen “Bewegung” 2017 als Partei “En Marche” eine satte parlamentarische Mehrheit bescherte. Er setzte zwar durch, dass die Abfertigung Gekündigter nicht mehr so hoch ist, dass sie in Wirklichkeit Anstellungen verhindert und dass Eisenbahner nicht mehr mit 54 in Pension gehen dürfen, aber besser geht es den Franzosen nicht. Zuletzt war die zerstrittene Regierung nicht einmal mehr in der Lage, auch nur den Beschluss zur dringenden Anhebung des Pensionsalters zu fassen. Für diesen Fall kennt das französische Präsidialsystem die Möglichkeit des Präsidenten, sein Anliegen mit einer Art Notverordnung durchzusetzen und wie viele Präsidenten vor ihm machte Macron davon Gebrauch – was die Stimmung freilich noch mehr anheizte. Die Opposition focht die Verordnung an, aber die neun Verfassungsrichter, durchwegs ranghohe Ex- Politiker, beurteilten die Anhebung als verfassungskonform. Macron hat scheinbar einen klaren Sieg errungen.

Aber der Schein trügt. Die Unruhen dauern an; die Gewerkschaften haben Macron den totalen Krieg erklärt; er hat keine Mehrheit mehr im Parlament. Niemand weiß, wie er bis 2027 etwas weiterbringen soll. In deutschen Zeitungen kann man zutreffend lesen, woran Frankreich krankt: An der Weigerung so vieler Franzosen, strukturelle Reformen zu akzeptieren; an den zu starken Gewerkschaften; am zu großen Anteil der Landwirtschaft am BIP; an der zu geringen Bereitschaft einer abgehobenen Elite, sich mit den Problemen des kleinen Mannes zu befassen und Schonung der Elite vor Strafverfahren wegen Korruption.

Aber trotz all dieser traditionellen Schwächen wies Frankreich noch 2005 ein reales, kaufkraftbereinigtes BIP pro Kopf aus, das mit 36.703 USD nur um 1.198 USD unter dem deutschen von 37. 901 USD lag. Denn Frankreich besitzt gute, große Unternehmen, seine Klein- und Mittelbetriebe sind zwar schwächer als die deutschen, aber dafür hat es eine große konjunkturunabhängige Luxusindustrie und sind seine Banken weit stärker als deutsche Geldinstitute. Es hat gute Patente, sehr gute Schulen und sehr gute Universitäten. Aber während Deutschland sein BIP/Kopf bis 2017 auf 45.229 USD steigerte, legte das Frankreichs nur mehr auf 38.605 USD zu. Aus einem Abstand von rund 1.200 USD zu Gunsten Deutschlands im Jahr 2005 war 2017 einer von 6.000 USD geworden, der heute auf 7.400 USD weiter gestiegen ist.

Der so dramatisch vergrößerte Abstand hat zwar mehrere Gründe, aber  einen zweifelsfreien Hauptgrund, über den Deutschlands Medien kein Wort verlieren: Während Frankreich seine Löhne wie durch Jahrzehnte üblich, jedes Jahr um den Produktivitätszuwachs plus Inflation erhöhte und damit die in der EU vereinbarte Ziel-Inflation von 1,9 Prozent einhielt, übt Deutschland seit 2000 “Lohnzurückhaltung”. Daher die Reallohn Verluste vieler deutscher Arbeitnehmer – daher der gewaltige Konkurrenz-Vorteil der mit immer weniger Lohnkosten belasteten deutschen Waren, der sich gegenüber Frankreich zu einem Lohnstückkosten-Vorsprung von 20 Prozent addierte. Entsprechend massiv mussten französische Unternehmen in der EU, in Russland, in den USA oder in Südamerika Marktanteile an deutsche Unternehmen verlieren; mit Deutschland selbst wuchs  Frankreichs Handelsbilanz-Defizit um den Faktor 30.

Frankreichs Möglichkeit, Deutschland die verlorenen Marktanteile wieder abzujagen, ist eine rein theoretische. Denn  dazu müssten Frankreichs Unternehmen die deutschen Preise unterbieten, das heißt ihr Lohnniveau um mehr als 20 Prozent senken. Das provozierte selbst in Ansätzen eine Revolte, neben der die aktuellen Unruhen lächerlich sind. Zugleich verminderte es Frankreichs Inlands-Kaufkraft, die seine Inlands- Konjunktur aufrecht hält, derart, dass sie zusammenbräche. Aber ich soll nicht ständig wiederholen, warum ich in Deutschlands wirtschaftlichem Verhalten die größte Gefahr für die EU sehe.

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So sind wir-zu einem leider großen Teil

Herbert Kickl tritt mit seinem Verhalten gegenüber der Ukraine und seinem politischen Erfolg den Beweis an, dass wir doch weitgehend so sind wie “Ibiza” uns zeigt.

“So sind wir nicht”, sagte Alexander Van der Bellen im Juni 2019, als “Ibiza” die Nachrichten beherrschte. Es war das eine der wenigen Halbwahrheiten aus dem Mund des Bundespräsidenten: Ein erheblicher Teil der Österreicher ist so. Seit einer Woche können wir für uns in Anspruch nehmen, das einzige westliche Land zu sein, in dem, wenn Sonntag gewählt würde, eine Partei die mit Abstand meisten Stimmen erhielte, deren Mandatare geschlossen den Saal verlassen haben, als der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj dem Parlament per Videoschaltung für Österreichs humanitäre Hilfe dankte. “Vertreter der Ukraine haben hier genau so wenig verloren, wie der Vertreter Russlands oder einer anderen kriegsführenden Partei”, begründete Herbert Kickl die Vorgangsweise seiner Partei und brachte es mit diesem Satz fertig, das Vorgehen des neben Saddam Hussein größten Kriegsverbrechers seit Adolf Hitler in einem Atemzug mit dem Kampf der Ukrainer für das Überleben ihrer überfallenen Heimat zu erwähnen. Auch die SPÖ schien mit Selenskyjs Auftritt nicht ganz klar zu kommen: Die Hälfte ihrer Mandatare blieb, wenn auch nicht demonstrativ, der Selenskyj Rede fern, denn auch in der SPÖ sind viele Abgeordnete nicht sicher, dass diese Rede mit der Neutralität vereinbar ist.

Das kommt davon, dass dieser Staat, seine Bevölkerung und seine Parteien zur Neutralität durchwegs ein schlampiges Verhältnis unterhalten: Sie ist ein Bestandteil jeder außenpolitischen Rede und wahrscheinlich inzwischen tatsächlich der österreichischen Identität, den man in Wahrheit nur akzeptieren kann, wenn man – ich wiederhole mich – gewillt ist, untätig zuzusehen, wenn jemandem mit Füssen gegen den Kopf getreten wird. Die grundsätzliche Diskussion um den humanen Wert oder Unwert der Neutralität zu unterlassen, ist ein zentrales österreichisches Problem, das einzig die NEOS als solches begreifen.

Schweden, Finnland oder Norwegen waren nie wie Österreich “dauernd” (“immerwährend”) neutral – das ist nur die Schweiz. Aber sie war es von Beginn an aus eigenem Willen, während wir uns einer Forderung Nikita Chruschtschows beugten, ohne deren Erfüllung wir den Staatsvertrag nicht erhalten hätten: Unsere angebliche Freiwilligkeit war erzwungen. Wenn man diese erzwungene “dauernde” Neutralität ohne politische Notwendigkeit weiterhin ernst nimmt, dann hat Herbert Kickls Ablehnung einer Rede Wolodymyr Selenskyjs im Parlament eine Menge für sich: Die Professoren für Völkerrecht, Stephan Verosta und Alfred Verdross, die den Staatsvertrag rechtlich begleiteten, waren der damals unstrittigen Rechtsansicht, dass zwar der einzelne Bürger des dauernd neutralen Staates nicht verpflichtet ist, sich eines moralischen Urteils über die kriegsführenden Parteien zu enthalten (er ist kein Subjekt des Völkerrechts), “wohl aber wird es der dauernd neutrale Staat vermeiden, in Konflikten dritter Staaten Partei zu ergreifen.” (Verosta). Im zweiten Weltkrieg warf Deutschland der Schweiz Bruch der Neutralität vor, weil sie nicht verhinderte, dass ihre Zeitungen Hitlers Vorgehen kritisierten und die Schweizer Regierung erwog ernsthaft Zensurmaßnahmen. Die Behauptung, die österreichische Neutralität sei ausschließlich militärisch zu verstehen, steht völkerrechtlich auf halb so sicheren Beinen. Allerdings hätte Österreich durch seinen Beitritt zur EU (den die Schweiz vermied) viel schwerwiegender  gegen die Forderung nach “dauernder” Neutralität verstoßen als durch Selenskyjs Rede im Parlament, und auch Österreichs lächerliche Wehrkraft war ein ungleich massiverer Verstoß dagegen.

Gleichzeitig ist das Völkerrecht freilich einem steten gewohnheitsrechtlichen Wandel unterworfen: Die Rechtsansicht, dass der dauernd neutrale Staat sehr wohl moralisch Partei ergreifen darf, ist heute längst nicht mehr so umstritten wie 1956. Vor allem gibt es auf der Welt nur mehr zwei Staaten, die dieses Gewohnheitsrecht formen: Österreich und die Schweiz. Natürlich konnte Selenskyjs Rede daher völkerrechtlich genauso gut stattfinden, wie man sie völkerrechtlich begründet vermeiden konnte. Kickl kennzeichnet, dass es sie nicht hören will –  dazu steht ihm Wladimir Putin politisch zu nahe.

Wenn in Österreich irgendwann irgendetwas ernsthaft durchdacht und diskutiert würde, verabschiedete es sich aus Gründen des politischen Anstands wie der rechtlichen Sauberkeit von der “dauernden” Neutralität – oder handelte wie die Schweiz ein anderes Abkommen mit der EU aus und steckte um die zwanzig Milliarden Euro in ein der Schweiz ebenbürtiges Heer. Letzteres kommt natürlich für keine Partei des Landes, auch nicht die FPÖ, in Frage. So wie wir das Trittbrettfahren lieben, lieben wir die schlampigen Rechtsverhältnisse – wir sind so.

Auch Herbert Kickl bekämpft die Parteinahme Österreichs ja nicht aus ernsthafter Sorge um ihre Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht. Mir ist nicht bekannt, dass er aufgeschrien hätte, als die FPÖ in ihrer Koalition mit der ÖVP Wolfgang Schüssels sehr ernsthaft den Beitritt zur NATO erwog. Vielmehr vermochte Kickl vielen Österreichern glaubhaft zu machen (und glaubt es wahrscheinlich auch selbst), dass ihnen die Teuerung erspart bliebe, wenn Russland nicht sanktioniert und Putin nicht kritisiert würde. Und sobald viele Österreicher meinen, dass es ihnen mit “Heraushalten” wirtschaftlich besser ginge, ist ihnen Moral völlig egal. Denn so sind wir – leider zu einem verdammt großen Teil.

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Das demagogische Phänomen Herbert Kickl

 Der FPÖ-Chef ist Joseph Goebbels zwar sicher nicht als Verbrecher aber als Demagoge ebenbürtig. Die von ihm bei Corona erreichte Schuld-Umkehr ist einzigartig.

 Dass Juristen meinen, die Rückzahlung rechtswidriger Corona-Strafen seitens der NÖ-Landesregierung sei nicht möglich, weil der Bund für diese Strafen zuständig ist, sollte dazu führen, die Idee Udo Landbauers mit einem Bundesgesetz umzusetzen: jede Fehlleistung, die Österreich im Rahmen der Pandemie zum Schaden gereichte, muss abgegolten werden. Am besten indem die schuldigen politischen Funktionäre mit ihrem Vermögen haften. Die Finanzprokuratur könnte diese Haftung wahrnehmen und sofort ein Verfahren gegen Herbert Kickl & Co anstrengen, hat deren Agitation doch entscheidend dazu beigetragen, dass Österreichs Covid-19 Impfquote weit hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben ist und gereicht uns das derzeit doch massiv zum Schaden: Im März 2023 verzeichnete Österreich mit wöchentlich 389 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner die weltweit höchste Infektionsrate – in “Die Zeit”, die solche Daten jeweils graphisch wiedergibt, sind wir das einzige dunkelrot eingezeichnete Land des Erdballs. Zum Vergleich: Die nächsthöhere Wocheninzidenz verzeichnet Deutschland mit 44 Infektionen, wobei das auch dort einer dürftigen Impfquote entspricht, während dass massiv geimpfte Spanien nur 15,2 Neuinfektionen beklagt. Neben der niedrigen Impfquote hat an unserer hohen Inzidenz natürlich auch Anteil, dass selbst Gesundheitsminister Johannes Rauch die Pandemie so ausdrücklich als beendet erklärt hat, so dass niemand mehr Masken trägt, während Spanier sie vielfach weiterhin tragen und man ohne sie nicht im Autobus fahren darf. Aber auch dieser abrupte demonstrative Schlussstrich ist der Agitation Kickls zu danken. Zwar ist Infektionsrate 389 pro Woche nicht mit Spitalsaufenthalt und Fernbleiben von der Arbeit gleichzusetzen, aber die entsprechenden Prozentsätze lassen sich leicht ermitteln und damit auch der finanzielle Schaden, der Österreichs Spitälern und Unternehmen täglich erwächst. Die Prokuratur könnte ihn bei Kickl schon in wenigen Monaten geltend machen.

Am besten wäre das nicht nur Spaß sondern es gäbe Gesetze, die massiv gesundheitsgefährdende Agitation erschweren. Das Phantastische an der österreichischen Wirklichkeit des Jahres 2023 besteht darin, dass es Kickl gelungen ist, eine Stimmung zu schaffen, in der sich Gesundheitsminister und Sachverständige für ihr “Versagen” entschuldigen sollen, damit die FPÖ zur Versöhnung bereit ist – ich glaube wirklich, dass Ähnliches allenfalls Joseph Goebbels gelungen wäre.

Kickl hat immer die Slogans erdacht, mit denen H.C. Strache und Jörg Haider Furore gemacht haben und nun weiß man, dass er sie auch genau so gut vorträgt:”Pummerin statt Muezin” und jetzt “Die Regierung treibt die Corona Apartheit auf die Spitze” verkürzen und verdichten auf brillante Weise die Animosität, mit der Teile der Bevölkerung auf eine für sie neue Herausforderung reagieren, brachte die Pandemie doch besonders viel Unangenehmes mit sich – da ist es besonders angenehm, “denen da oben” die Schuld dafür zu geben. Ein Problem besteht darin, dass es auf Seiten der SPÖ, ÖVP, NEOS und Grünen niemanden gibt, der Richtiges ähnlich brillant zu formulieren vermag.

Ein zweites Problem ist die außergewöhnliche Wissenschaftsfeindlichkeit von Österreichern wie Deutschen, über deren gemeinsame Wurzel man unter alternativen Grünen nachdenken sollte, denn es haben bekanntlich erstaunlich viele von Ihnen an den Corona-Protesten teilgenommen, zu denen FPÖ und AfD aufgerufen haben. Beiden Parteien kam dabei zugute, dass Krankheit und Impfung mit besonders viel Emotion verbunden sind. Zur nationalen Rechten zählt man sich einer überlegenden Rasse zu, deren mythische Helden wie Siegfried fast unverletzlich waren. Dazu passt die Argumentation, dass die natürlichen Abwehrkräfte völlig reichten, das Virus in Schach zu halten. Aber erstaunlich viele alternative Grüne glauben sich dem Rest der Bevölkerung ebenso überlegen, indem sie “wissen”, dass es abseits „scheinrationaler“ wissenschaftlicher Erkenntnisse, „spirituelle Kraftfelder” gibt – in Wien wurden an einen Esoteriker bekanntlich 95.000 Euro bezahlt, damit er das Klinikum Nord mit einem “Energie-Schutzring” umgibt. Esoterik hat nationalsozialistische Tradition: Der „Völkische Beobachter” war eine Zeitung, die der „Esoterik“ huldigte, ehe ihr „völkisches” Fühlen zum wichtigsten Inhalt wurde. Esoteriker, die das „Natürliche“ allem „Künstlichem”, von Menschen Geschaffenem vorziehen, idealisieren die Natur, die in ihren Augen nur Gutes schafft – entsprechend schwer fällt ihnen, das von ihr auch geschaffene Virus zu bekämpfen, befürwortet doch ein Reihe von ihnen „natürliche Erkrankungen“ sogar als Erweiterung des Bewusstseins.

Dass die Impfstoffe von Moderna und Pfizer/Biontech „gentechnisch” hergestellt werden, musste zur extremen Rechten wie zur grün-alternativen Linken besonders irritieren, legt man dort doch den größten Wert auf „Gentechnikfreiheit“ – bei keinem Nahrungsmittel darf dieser Hinweis fehlen. In Wirklichkeit ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Pflanze oder ein Virus in der Natur auf eine für Menschen gefährliche Weise mutiert, ungleich größer, als dass das bei einer gentechnischen Unternehmung geschieht, denn mit der “Genschere” können Biologen ungleich genauer ins Genom eingreifen, als das “natürlich” durch Sonneneinstrahlung oder Blitzschlag geschieht. Aber ich warte schon auf die entsprechenden empörten Leserbriefe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Wie Notenbanken unsinnig Risiken erhöhen

Silicon Valley Bank und Credit Suisse sind primär Opfer ihres schlechten Risikomanagements – aber massiv erhöhte Leitzinsen haben ihre Risiken zusätzlich erhöht.

Vor einem Monat habe ich hier getitelt: “Hoffentlich weiß die Geldpolitik, wohin sie führt?” Jetzt ist klar: Sie weiß es nicht. Die Silicon Valley Bank (SVB) ist, wie die Credit Suisse, zwar primär Opfer ihres schlechten Risikomanagements, aber angesichts massiv erhöhter Zinsen musste ihr Risiko schlagend werden: Im gegebenen Zinsumfeld erwiesen sich Schwächen als letal.

Ausgangspunkt der massiven Zinserhöhung von FED und EZB war die absurde These, dass ihre lockere Geldpolitik die Hauptschuld an der aktuellen Teuerung trüge, obwohl sie durch ein Jahrzehnt beinahe mit Deflation verbunden war. Aber während für Laien klar war, dass die aktuelle Teuerung voran der Verteuerung fossiler Energie durch den Ukrainekrieg geschuldet ist, beharren Wirtschaftswissenschafter wie Deutschlands “Starökonom” Hans Werner Sinn auf der zentralen Schuld der lockeren Geldpolitik, die er so begründet: Die Inflation hätte sich in zehn Jahren wie Catchup in einer Flasche angestaut und pflatsche nur auf einmal heraus.

Auch ich halte billiges Geld keineswegs für grundsätzlich gut, aber nach der Finanz- und der Corona- Krise erleichterte es die Erholung erheblich. Richtig wäre gewesen, den Leitzins nur in den viel besser erholten USA und erst nach ihrer völligen Erholung auch in der sparenden EU, in beiden Fällen aber denkbar behutsam, anzuheben – ihn massiv anzuheben war ein grober Fehler. In den USA wurde er dadurch begünstigt, dass die “Democrats” fürchten, die Teuerung könnte Joe Biden den politischen Erfolg kosten – in der EU geschah er, weil Christine Lagarde dem Druck nachgab, den voran Deutschlands Vertreter, aber auch Österreichs Robert Holzmann im EZB-Rat entfalteten. Gemeinsam war ihnen, den Unterschied von “Teuerung” und echter Inflation nicht zu sehen: Letztere liegt nur vor, wenn steigende Preise überhöhte Löhne bedingen, die zu noch höheren Preisen führen, und wenn das in einen sich selbst verstärkender Prozess mündet – das aber war weder in den USA noch in der EU der Fall und wäre die einzige Rechtfertigung, den Leitzins massiv zu erhöhen. Zudem hätte man gewarnt sein müssen: Genauso hat FED-Chef Alan Greenspan 2008 agiert, als er die Märkte zuerst aus einem falschen Grund, nämlich wegen bröckelnder Aktienkurse, mit billigem Geld flutete, um den Leitzins plötzlich aus Angst um den Dollar massiv zu erhöhen.

Die Pleite der SVB erinnert zwar an die so entstandene Pleite von Lehman Brothers, aber die Unterschiede sind doch erheblich. 2008 hatten nicht nur Lehman Brothers, sondern alle großen Banken der USA und der EU toxische Finanzprodukte im Tresor: “Derivate” vermischten auf undurchsichtige Weise Kredite von Hauskäufern bester Bonität mit Krediten an denkbar schwache (“subprime”) Schuldner. Als Greenspan den Leitzins plötzlich massiv anhob, konnte keiner diese schwachen Schuldner seine Kreditraten zahlen, der Wert der Derivate stürzte ab und zahllose Banken in den USA wie der EU wankten.

Das ist jetzt anders, auch wenn die hohen Aktienkurse einmal mehr mit zuvor billigem Geld zu tun haben. (Obwohl es nicht der Aktien, sondern der Pandemie wegen bis lange billig war). Der größte Unterschied zu 2008 besteht aber darin, dass die Probleme von SVB oder Credit Suisse nicht die Dimension haben, die die toxischen Derivate mit sich brachte. Die Credit Suisse wankte auf Grund einer einzigartigen Abfolge von Skandalen und hat sich dank 100 Milliarden aus der Schweizer Notenbank in der starken UBS aufgelöst. Die SVB hatte sich auf die Finanzierung von Startups spezialisiert und ihr Risiko unterschätzt, und es gibt zwar eine Menge US-Banken mit diesem Geschäftsmodell – aber nicht entfernt so viele, wie 2008 sowohl in der USA wie in der EU toxische Derivate in ihren Büchern hatten. Denn die Undurchsichtigkeit dieser Derivate war damals staatlich vorgegeben: Die USA hatten den Handel mit ihnen im Eivernehmen mit Greenspan als “Privatgeschäft” eingestuft und bewusst nicht reguliert. Komplettiert wurde dieser neoliberale Skandal dadurch, dass die großen Rating-Agenturen, die von den Banken gegen hohes Honorar mit der Bewertung der Derivate beauftragt wurden, sie als absolut sicher (tripple A) einstuften, obwohl sie oft völlig wertlos waren. Zum Flächenbrand wurde die Lehman – Pleite, weil George W. Bush sie bewusst nicht durch staatliches Eingreifen abwendete. Da unzählige Banken Derivate besaßen, hörten sie aus Pleiten-Angst auf, einander Geld zu borgen und die nötigsten Geldflüsse trockneten aus.

Barack Obama und die Regierungen der EU lösten das Problem bekanntlich, indem der Staat “Systemrelevanten” Banken hohe Kredite gewährte. Die Banken mussten ihr Eigenkapital erhöhen und es wurden, in der EU mehr als in den USA, Stresstests eingeführt, die prüfen, wie widerstandsfähig sie sind. Gleichzeitig zahlen US-Banken in einen gemeinsamen Topf, aus dem die Kunden der SVB jetzt das Geld erhalten, das sie dort eingelegt haben – nur die Aktionäre der SVB verlieren Geld. Joe Biden garantiert im Wege der FED mittlerweile alle Bankeinlagen. In der EU gibt es das schon seit 2014 und dazu ein System für die Abwicklung kranker Banken. Zudem ist das Problembewusstsein geschärft: Die Credit Suisse ist bereits in der UBS aufgegangen und die Schweizer Notenbank hat dazu 100 Milliarden beigetragen. In Summe hat das in den USA wie in der EU gereicht, einen “Bankenrun” zu verhindern – eine demnächst kräftige Rezession verhindert es nicht.

 

 

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Das Risiko militärischer Impotenz

Mit kaputtgesparter Wehrkraft verlässt sich die EU militärisch voll auf die USA. Aber alle künftigen US-Präsidenten werden das Engagement der USA in Europa vermindern.

Obwohl seine Berater ihn gewarnt haben, dass er sich damit schaden könnte, scheint Donald Trump seinen Wahlkampf um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikaner mit der Forderung nach dem Austritt der USA aus der Nato zu bestreiten. Er erhob diese Forderungen sowohl in einem eben erschienen Buch wie kürzlich auf einer Tagung rechter Republikaner, bei der er versprach, Geld statt für die Verteidigung der Ukraine lieber für den Bau seiner Mauer gegen Mexiko zu verwenden. Sein Kalkül: Die Amerikaner sind in ihrer Mehrheit isolationistisch, und nie war ihre Kriegsmüdigkeit größer als nach der Niederlage in Afghanistan.

Obwohl die Zuhörer begeistert “we want Trump” skandierten, zweifle ich, dass die Republikaner ihn tatsächlich nominieren- der Gouverneur von Florida Ron De Santis hat die zweifellos besseren Chancen- aber ausschließen kann man weder, dass sie Trump doch nominieren noch dass er 2024 doch wieder Präsident wird. Bei den Wettbüros wird sein Sieg jedenfalls für nur halb so wahrscheinlich wie der Joe Bidens gehalten. Wie man als Spitzenpolitiker der EU angesichts eines Risikos dieser Größenordnung darauf verzichten kann, eine ernstzunehmende Streitmacht der EU wenigstens als rasch zu verwirklichende Möglichkeit zu planen, ist mir rätselhaft.

An sich stehen in den nationalen Armeen der EU kaum weniger Männer als in Russland unter Waffen und ihr gemeinsames Budget ist größer. Was fehlt, ist eine gemeinsame Befehlsstruktur und eine Einigung darüber, wann diese Streitmacht eingesetzt wird. Etwa: dass eine Mehrheit, die mindestens drei Viertel der EU-Bevölkerung vertritt, über den Einsatz bestimmt und dass opponierende Mitglieder sich daran nicht beteiligen müssen. Eine vorsorgliche solche Planung hieße ja keineswegs, die viel bessere Zugehörigkeit zur NATO aufzugeben – er vermiede nur fast völlige militärische Impotenz, wenn der Trump-GAU doch eintritt.

Und egal, ob der nächste US-Präsident Trump, De Santis, Joe Biden oder sonst wie heißt, wird er das Engagement der USA in Europa vermindern, weil es, wie einzelne Abgeordnete laut sagen, nicht im Zentrum des nationalen Interesses liegt. Es gibt keine vernünftige Begründung dafür, dass die Amerikaner die Hauptlast für Frieden in Europa tragen. Es ist weder finanziell gerechtfertigt – die EU ist ein sogar noch größerer Wirtschaftsraum und könnte bei besserer Wirtschaftspolitik auch genau so reich sein – noch ist es in Hinblick auf den menschlichen Einsatz gerechtfertigt: Wenn Putins Truppen die baltischen Staaten angriffen, ist es naheliegender, dass sich ihnen mehr deutsche und polnische als amerikanische Truppen entgegenstellen. Die EU kann nicht auf die Dauer militärisch impotent sein. Emotional gilt es einen Denkfehler der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin Berta von Suttner (oder jetzt Sarah Wagenknechts und Alice Schwarzers) zu vermeiden, die da meinen, “die Waffen nieder” garantierte am ehesten Frieden, denn das Gegenteil ist wahr: Nichts lädt potentielle Aggressoren so sehr zur kriegerischen Eroberung ein wie ein militärisch schwacher Gegner. Mindestens gleiche militärische Stärke schützt weit eher vor Krieg, und wenn der potentielle Aggressor, wie im Falle von Putins Russland, ein Unrechtsstaat ist, dann ist es nicht “Kriegs-hetzerisch”, sondern “Friedens-erhaltend”, wenn die rechtsstaatlichen Demokratien sich bemühen, die militärisch klar stärkeren zu sein.

Leider hat die deutsche EU-Politik bisher das Gegenteil bewirkt: Es wurde ja nicht nur die Bundeswehr kaputtgespart, sondern fast alle Armeen der EU haben gespart. Dass die EU der Ukraine derzeit weder genug Panzer noch genug Munition liefern kann, liegt ja nicht nur am Zögern Olaf Scholz`, sondern daran, dass es von beiden nicht genug gibt – auch die Rüstungsindustrie der EU wurde krank gespart. Die “Zeitenwende” dürfte zwar dazu führen, dass die meisten Staaten in Zukunft 2 Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben werden, aber es bedarf einmal mehr der Grundeinsicht, dass Investitionen des Staates die Wirtschaft beleben, nicht aber bremsen, sonst werden der höheren Rüstungsausgaben wegen womöglich die Investitionen in den Klimaschutz verringert. In Wirklichkeit geht das – zum Vorteil der Wirtschaft – sehr wohl nebeneinander. Dass Deutschland derzeit ein 100 Milliarden Sondervermögen in sein Heer und zugleich 60 Milliarden in den Klimaschutz investiert, wird ihm wirtschaftlich nicht schaden, sondern es vor Rezession bewahren.

Leider fordert derzeit nur Emmanuel Macron eine eigene europäische Streitmacht und damit auch eine potente Rüstungsindustrie (und in Österreich sieht ausschließlich Beate Meinl- Reisinger diese Notwendigkeit.) Ursprünglich war an eine EU-Eingreiftruppe von immerhin 50.000 Mann gedacht – die nunmehr geplante 5000 Mann starke Truppe ist geradezu lächerlich klein. Aber selbst sie ist zumindest ein Ausgangspunkt und kann so Gott will als Kristallisationspunkt dienen. So haben die Spitzen der EU diese Woche immerhin beraten, wie der Rüstungsindustrie auf die Beine geholfen werden kann: sie muss erstens dauerhaft mit Aufträgen einer gewissen Größenordnung rechnen können und es sollte zweitens auch schon jetzt eine Einigung über die benötigten Waffensysteme geben. Vielleicht ergibt sich aus dieser Diskussion ein Nachdenken über die gemeinsame Streitmacht. Oder die EU ist doch so beschaffen, dass es den GAU braucht.

 

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Der billige Mythos Neutralität

Neutralität hat noch kein Land vor Krieg bewahrt – nicht einmal die Schweiz. Trotzdem gibt sie das x-fache Österreichs für ihre Armee aus. Trittbrettfahren ist billiger

Dass Beate Meinl Reisinger Kanzler Karl Nehammer vorwarf, den Kopf in den Sand zu stecken, indem er jede Debatte über Österreichs Sicherheit mit dem Hinweis auf die Neutralität abwürgt, kann die NEOS nur Stimmen kosten. Denn die Neutralität ist eine heilige Kuh, die Nehammer auch sogleich fütterte: „Die Neutralität war und ist hilfreich für die Republik Österreich und sie bleibt hilfreich!“

1997 sah das selbst die ÖVP anders, obwohl Russland damals niemanden überfallen hatte: „Es

habe sich gezeigt“, beschloss ihr Bundesparteivorstand „dass die europäische Sicherheit… vor allem in der neuen NATO entwickelt wird“…. Deshalb solle Österreich „der neuen NATO beitreten“.

Diese klare Formulierung schwächte Wolfgang Schüssel als Chef einer schwarz-blauen Koalition erst in der Regierungserklärung zum Konjunktiv ab, nachdem er Meinungsumfragen gelesen hatte. Obwohl der NATO-Beitritt damals auch Ziel der FPÖ war, deren Obmann Herbert Kickl sich heute entrüstet, dass die Regierung die Neutralität durch ihre Kritik an Russland gefährdet.

Nicht einmal die SPÖ war ihrer Ablehnung der NATO immer so konsequent wie ihr Klubobmann Heinz Fischer. 1993 konnte sich Kanzler Franz Vranitzky vorstellen, dass sich die Neutralität „als überflüssig und überholt erweisen könnte, wenn ein kollektives Europäisches Sicherheitssystem zustande kommen sollte“, und 1997 antwortete SP-Kanzler Viktor Klima im Standard auf die Frage, ob er sich eine NATO -Mitgliedschaft vorstellen könne: „Wenn wir ein europäisches Sicherheitssystem haben… warum sollten wir das dann nicht tun?“

Wolfgang Schüssel musste sich also nicht so völlig isoliert fühlen, wenn er eine NATO-Mitgliedschaft anstrebte.

Aber so einig alle Unterhändler des Staatsvertrags, von Leopold Figl über Bruno Kreisky bis zu Julius Raab darin waren, dass die Neutralität eine massive Einschränkung der Souveränität darstellt, so eindeutig sieht der heutige Souverän darin etwas, das uns auszeichnet. Zum einen, weil jedes Land sich besonders und ausgezeichnet sehen will, was umso leichter fiel, als die Neutralität  uns unter so beneidenswerte Länder wie die Schweiz und Schweden reihte, zum anderen, weil mit  Staatsvertrag und Neutralität Österreichs unglaublicher wirtschaftlicher Aufstieg einsetzte und man meint, dass auch sie daran Teil gehabt hätte, obwohl sie ihn etwas bremste:  Sehr vorsichtige Investoren  investierten lieber in NATO-Ländern.

Dafür erfüllte Bruno Kreisky die Neutralität mit Glanz: Er sah uns = ihn durch sie zum Schiedsrichter berufen: Währende Schwedens Olof Palme die USA kritisierte, kritisierte er ebenso neutralitätswidrig die UdSSR.

Der Frage, ob Neutralität tatsächlich vor Krieg schützt, trat neben soviel Glanz in den Hintergrund: Hitlers Wehrmacht hat mit Luxemburg, Belgien Holland, Dänemark und Norwegen einen neutralen Staat nach dem anderen überfallen, ohne dass dessen Neutralität das geringste Hindernis gewesen wäre, und Russland überfiel das neutrale Finnland. Dass die Schweiz verschont blieb lag ausschließlich daran, dass Hitler den Plan General Guderians, über die angeblich nicht panzergängigen belgischen Ardennnen statt über die Schweiz nach Frankreich vorzustoßen, für den besten hielt.

Schweden wiederum war militärisch ungemein stark: In Deutschland wusste man, dass seine Armee immer locker imstand sein würde, am Ende auch die eigene Stahlerzeugung zu zerstören. Ein Angriff auf Schweden hätte bedeutet, dass es keinen Stahl mehr geliefert hätte – darauf konnte Deutschland es nicht ankommen lassen. Mit seiner Neutralität hatte Schwedens Schonung so wenig wie die der Schweiz zu tun.   

Falsch ist aber auch die Behauptung, dass Österreich in der Vergangenheit durch seine Neutralität geschützt war. In kritischen Situationen, etwa im „Prager Frühling“ versicherte sich die Regierung immer in den USA, dass die Nato Österreich, anders als heute die Ukraine, verteidigen würde und das wusste man im Kreml. Dennoch gab es unter russischen Militärs gelegentlich Planspiele, die sich erstaunlich intensiv mit Österreich befassten. Das wichtigste davon war die Aktion „Polarka“, die davon ausging, dass die UdSSR das abtrünnige Jugoslawien Titos zur Ordnung ruft und dass Österreich bei dieser Gelegenheit „seine Neutralität missachtet“, was der UdSSR „zwingt“, einen gravierenden Fehler Nikita Chruschtschows wieder gut zu machen. Nach glaubwürdigen Aussagen hat Marschall Gregori Schukow dieses Planspiel sehr ernst genommen, aber Chruschtschow sei der Stärkere gewesen.

Was wurde aus den vielen hier angeführten Neutralen? Alle sind heute NATO–Mitglieder oder wollen es wie Schweden und Finnland werden. Alle begründen das mit ihrer Erfahrung.

Österreich müsste also starke Gründe haben, warum es der NATO fernbleibt. Der wirksamste ist der Umstand, dass der Beitritt Geld in Form massiver Aufrüstung kostete. Vor allem aber können sich die Österreicher nach wie vor relativ sicher fühlen, sind sie doch von der waffenstarrenden Schweiz und lauter NATO- Staaten umgeben. Trittbrettfahren ist also ungleich billiger. Stellt sich die Frage, warum es nicht alle Staaten wie Österreich machen? Die rationale Antwort lautet: Weil das System dann implodierte und Putin demnächst Europa beherrschte. Die moralische Antwort wollen wir nicht hören: „neutral“ ist ein Mann, der sieht, wie jemand einen anderen mit Füßen gegen den Kopf tritt und vorbeigeht, weil er sich entschlossen hat, sich nie einzumengen.

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Der Wahnsinn, den ORF krank zu sparen

Der Öffentliche Rundfunk ist der einzige ernstzunehmende Gegenspieler der asozialen Medien bei der sich selbst verstärkenden Verbreitung falscher Informationen.

Zu fordern, dass der ORF 300 Millionen Euro einspart, ist medienpolitischer und demokratiepolitischer Wahnsinn. Schon jetzt erhält der ORF mit 645 Millionen hinter der (allerdings mehrsprachigen) Schweiz mit 1,24 Milliarden und Deutschland mit 8,42 Milliarden den mit Abstand geringsten öffentlichen Zuschuss der Sendeanstalten des deutschen Sprachraums. Es ist zwar noch unklar, wie hoch die neue Haushaltsabgabe, die die GIS -Gebühr ersetzen soll genau ausfällt, aber dass sie um 2 Euro niedriger als die aktuelle Gebühr ausfallen müsse, ist angesichts dieser Gegenüberstellung absurd. Wobei jeder, der von Medien die geringste Ahnung hat, weiß, dass der Sender eines kleinen Landes zur Herstellung eines ansprechenden Programms nicht weniger Mitarbeiter braucht als ein Sender im großen Deutschland.

Die Kosten sind weit voran Personalkosten. In den letzten 15 Jahren hat der ORF bereits 900 Mitarbeiter abgebaut – er kann nur die Qualität seines Angebots vermindern, wenn er 300 Millionen einsparen soll.

Dass die sparsame Schweiz mit ihrer einsamen demokratischen Tradition ihren Rundfunk öffentlich so viel besser finanziert, sollte bei Karl Nehammer und Werner Kogler die Alarmglocken schrillen lassen: Ein starker öffentlicher Rundfunk ist eine der wichtigsten Voraussetzungen funktionierender Demokratie und er ist es derzeit mehr den je: Nur er kann mit seinem Marktanteil von 85 Prozent den  dem Informationschaos Paroli bieten, in das uns die „Sozialen Medien“  mit dem etwa gleichen  Marktanteil  gestürzt haben.

Bei einer israelischen Firma kann man bekanntlich für ein paar Millionen die Möglichkeit kaufen, im Wege der sozialen Medien eine Person, eine Firma oder eine Regierung fertig zu machen. Cambridge analytics hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Briten für den Brexit stimmten, russische Troll-Fabriken trugen entscheidend dazu bei, dass nachteilige Informationen über Hillary Clinton sie die Wahl gegen Donald Trump verlieren ließ. Und der hätte via Twitter um ein Haar nicht nur den Sturm aufs Kapitol ausgelöst, sondern die Demokratie der USA ausgelöscht.

Verfügungsgewalt über Information verleiht mehr Macht als Verfügungsgewalt über Geld und ist allenfalls militärischer Macht vergleichbar. Korrekte Information ist der vielleicht größte demokratische Wert, den es derzeit zu schützen gilt und ein starker öffentlicher Rundfunk ist dazu am ehesten geeignet.

Denn das Geschäftsmodell der „Sozialen Medien“ sorgt für das Gegenteil korrekter Information: Facebook erhält umso mehr Werbegeld, je mehr „Klicks“ es verzeichnet und es verzeichnet umso mehr Klicks, je mehr seine Informationen polarisieren. Wenn jemand Herbert Kickls Information anklickt, dass Impfungen „Diktatur“ sind, sorgen Algorithmen dafür, dass er auch gleich auf die Fehlinformation von Dagmar Belakowitsch stößt, wonach auf den Intensivstationen mehr Impfungsgeschädigte als Covid-Patienten liegen. Die sozialen Medien verdienen daran, persönliche Vorurteil maximal zu verstärken, deshalb eigen sie sich so ideal zur Manipulation von Wahlen: Wer eine EU kritische Information anklickt, erhält sofort drei weitere dazu.

Das ist das exakte Gegenteil dessen, was das Gesetz der Nachrichten- Redaktion des ORF vorschreibt: Sie ist nicht nur verpflichtet, jede Information eingehend zu prüfen, ehe sie sie weitergibt, sondern wenn möglich auch Gegenstimmen Betroffener einzuholen. Man kann den ORF wegen verfehlter Informationen verklagen. Er muss sie widerrufen und wird bestraft. Bei sozialen Medien ist das Einklagen ungleich schwieriger, der Widerruf dauert länger, die Strafen sind lächerlich im Verhältnis zu den Profiten.

Intelligente Politiker in der EU oder den USA sehen es daher als eine der dringlichsten Aufgaben an, die Macht der sozialen Medien der nötigsten Kontrolle zu unterwerfen, sie in manchen Fällen sogar so zu zerschlagen wie es Antitrustgesetze bei marktbeherrschenden Produktionsunternehmen erlauben. Da ist es so anachronistisch wie absurd, wenn Österreichs Regierung dabei ist, den ORF als einzig ernstzunehmenden Gegenspieler der sozialen Medien am Informationsmarkt durch Sparmaßnahmen zu schwächen.

Nebenher ist das Sparen verfehlt: Alles Geld, das der ORF erhält, bleibt ja im Wirtschaftskreislauf und wird dabei mehr:  vom ihm mitproduzierte Filme befördern die Filmindustrie, das ORF-Symphonie Orchester ermöglicht musikalische Events und beide sind Teil des BIP. Den Spartenkanal Sport plus einzustellen, bedeutet nur, Randsportarten um ihre Sponsoren zu bringen.

Wenn es am ORF etwas zu verändern gilt, dann seine Abhängigkeit von der Parteipolitik. Es braucht endlich einen Stiftungsrat, in dem Richter, Ordinarien für Publizistik, Vertreter der Filmakademie und natürlich der Nachrichtenredaktion die Mehrheit bilden, um dann dennoch grundsätzlich geheim abzustimmen, wenn der Generaldirektor und die Direktoren des ORF gewählt werden. Auch das Mitspracherecht der Landeshauptleute bei den Landesdirektoren gehört beseitigt. Zugleich muss die Verfassung normieren, dass der einmal festgelegte öffentliche Zuschuss mit der Inflation steigt, so dass die Möglichkeit wegfällt, seine Anhebung von der Erfüllung politischer Wünsche abhängig zu machen.

Nehammer und Kogler müssten einen unabhängigen, starken ORF um der Demokratie willen wirklich wollen -zu verwirklichen ist er einfach.

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Israel auf faschistoiden Abwegen?

Wenn Israel seinen Obersten Gerichtshof entmachtet, überschreitet es eine rote Linie. Benjamin Netanjahu garantiert nicht Israels Sicherheit, sondern die eigene.

Wenn Israels Parlament wirklich in vollem Umfang beschließen sollte, dass es Entscheidungen des Obersten Gerichtshof annullieren kann, dann betritt es den Weg zum faschistoiden Staat. Das schmerzt mich fast physisch: „Nächstes Jahr in Jerusalem“, so erzählte mir meine Mutter, die Auschwitz als Häftlingsärztin überlebte, hätten die Jüdinnen gerufen, die wussten, dass sie ins Gas geführt wurden. Seither war ihr und ist mir Israel so wichtig wie Österreich.

Zweifellos ist es unter der Bedrohung, unter der es steht – der Iran vernichtete es lieber gestern als heute – besonders schwer, einer faschistoiden Entwicklung zu widerstehen: Natürlich will man in dieser Lage einen starken Führer und legt Wert auf schnellstes, ungehindertes Handeln. Aber bisher hat Israel diese Anforderungen innerhalb einigermaßen rechtsstaatlicher Grenzen erfüllt – jetzt ist es dabei, sie zu überschreiten.

Die aktuelle Schuld daran trägt Benjamin Netanjahu, der seit jeher behauptet, der so notwendige starke Führer zu sein. Das war schon bisher fraglich, weil er der Annäherung Israels an seine arabischen Nachbarn stets am meisten im Wege stand, statt sie wie Shimon Perez zu erleichtern. Allerdings hat es diese Annäherung dennoch gegeben: Durch reinen Zeitablauf ist Israels Bedrohung trotz des Iran in Summe gesunken: Frieden und Waffenstillstände mit den größten arabischen Ländern stehen auf immer festeren Beinen. Daher verstärkt sich mein Verdacht, dass es Netanjahu bei seinem Bemühen, unter allen Umständen an der Regierung zu bleiben, nicht so sehr um die Sicherheit Israels als um die eigene Sicherheit geht: Sobald er nicht mehr Regierungschef ist, drohen ihm, wie Recep Tayyip Erdogan in der Türkei, viele Jahre Gefängnis für Korruption. Diese Bedrohung büßt Israels Bevölkerung mit der Koalition von Netanjahus Likud mit Parteien der extremen religiösen Rechten.

Diese religiöse Rechte war und ist in meinen Augen Israels zentrales Problem. Fanatische Religion ist immer und überall – vom Iran der Mullahs bis zu Donald Trumps USA – das größte Hindernis für Vernunft. Spätestens in dem Moment, in dem religiöse Parteien als Zünglein an der Waage die Politik einer Regierung entscheiden, wird es lebensgefährlich.

Gefährlich war es schon bisher: Es waren und sind die Religiösen, derentwegen der Siedlungsbau in den besetzen Gebieten vorangetrieben wurde und wird, der einen Palästinenserstaat so unendlich erschwert. Ich war aus vielen, nicht zuletzt praktischen Gründen primär kein Anhänger dieses Staates: In meinen Augen hätte der Westen besser darauf gedrängt, dass umliegende Staaten die Palästinenser aufnehmen und Jordanien von einem haschemitischen Staat zu einem Staat aller Palästinenser wird, die dort locker Platz haben. Aber da man sich mit dem Osloer Abkommen auf die Vorstufe zu einem Palästinenserstaat geeinigt hat, war ich der Meinung, dass Israel alles tun sollte, damit er funktionieren kann, denn umso eher würde man in gegenseitigem Frieden leben. Aber es tat mit dem Siedlungsbau das Gegenteil und die Hamas tat mit ihren Raketen nicht anders.

Auch damit habe ich nicht nur ein intellektuelles, sondern auch ein emotionales Problem: Zu einem meiner herzlichen Freunde wurde mit Issam Sartawi ein Palästinenser, der eine Zeitlang der offizielle Außenminister der PLO war. Er war es, der bei der PLO die Anerkennung Israels betrieben und durchgesetzt hat, und er hat das mir gegenüber mit einem Traum begründet: Gemeinsam könnten Israel und ein mit ihm befreundeter Palästinenserstaat der Nukleus einer demokratischen arabischen Welt sein.

„Da ist es doch viel einfacher, Israelis und Palästinenser bilden gleich einen gemeinsamen Staat“, ist es mir in meiner areligiösen Gedankenlosigkeit entschlüpft. „Das geht nicht“ nahm Sartawi Israels Partei, „nach dem Holocaust muss Israel ein jüdischer Staat sein“. Natürlich war das auch für mich in der nächsten Sekunde evident, aber es hat meine Abneigung gegen Religion nicht vermindert.

Wann immer ich Sartawi in Wien traf, warnte er mich, gemeinsam mit ihm auf die Straße zu treten: Radikale Palästinenser, die ihm wegen seines Eintretens für Israel nach dem Leben trachteten, würden mich nicht schonen, wenn sie auf ihn schießen. Ich habe das damals belacht, bis ich beweinen musste, dass sie ihn in Portugal mit neun Schüssen ermordet haben.

Heute ist mir natürlich bewusst wie naiv wir letztlich beide waren: Höchstens Daniel Barenboim hat sich in seinem israelisch- palästinensischen West-Eastern Divan Orchestra Freundschaft zwischen Juden und Arabern vorstellen können. Wieder sorgt Netanjahu für das Gegenteil: Sein Gesetz, das Israel seit 2018 als „Staat der Juden“ definiert, macht arabische Israelis zu Bürgern zweiter Klasse und war der erste Schritt zum faschistoiden Staat.

Und natürlich gereicht der fortgesetzte Status als Besatzer Israels Rechtsstaat zum Schaden: Wenn die Religiösen in den besetzten Gebieten „Erez Israel“ sehen, unterscheidet sich das nicht rasend von Putins Überzeugung, dass die Ukraine eigentlich Teil Russlands ist.

Ich maße mir nicht an zu wissen, welche Politik Israel betreiben sollte. Aber ich weiß, welche Schäden es mit der aktuellen Politik riskiert: Sie kann Israel die bedingungslose Unterstützung der „democrats“ in den USA kosten; sie leistet dem ubiquitären Antisemitismus Vorschub, der in Österreich bekanntlich „Da sieht man`s ja, die Juden sind die Nazis von heute,“ lautet; und vor allem verliert Israel die Kraft der Moral.

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Wie Putin die FPÖ zu seinem Krieg nutzt

2016 wollte die FPÖ die Sanktionen im Parlament killen, sie bekämpft sie auf Corona-Demos und Herbert Kickl macht damit Wahlkampf. Uns machen sie falsche Hoffnungen.

Es war immer schon charakteristisch für die FPÖ und ihre Wähler, dass es sie nicht irritierte, dass sie unter Heinz Christian Strache einen „Freundschaftsvertrag“ mit Putins Partei „Einiges Russland“ geschlossen hatte, obwohl “Einiges Russland“ nicht demokratischem Wettstreit dient, sondern im Gegenteil das wichtigste Instrument zur Absicherung der Diktatur Wladimir Putins ist. Ein Freundschaftsvertrag mit der griechischen Militärjunta wäre die beste historische Entsprechung.

Aber der von einer internationalen Recherchegemeinschaft ermittelte, soeben im profil veröffentliche interne Mailverkehr unter Putin-Propagandisten scheint weit mehr als Freundschaft zu belegen: FP-Abgeordnete besuchten demonstrativ die Krim, schon auf Corona -Demos wurde Putins Krieg beworben; im März wurde ein Dokument bekannt, das dem Mail des führenden russischen -Putin Propagandisten Sargis M. an einen weiteren PR-Experten Moskaus angehängt war und dessen Titel übersetzt lautet: „Entschließung zur Aufhebung antirussischer Sanktionen im österreichischen Parlament“. Passieren sollte das laut Dokument, indem der FP-Abgeordnete Johannes Hübner einen solchen Antrag im Nationalrat einbringt. Als Kosten dafür wurden 20.000 Euro plus 15.000 Euro bei erfolgreicher Abstimmung veranschlagt.

Tatsächlich brachte Hübner am 6. Juli 2016 genau diesen, wenn auch vom Parlament abgelehnten Antrag ein. Dass er dafür Geld erhalten hätte bestritt er, als das Dokument im März 2022 noch ohne begleitenden Mailverkehr ruchbar wurde.

Aber gleich ob Zahlungen erfolgten, werfen die Vorgänge doch auch einiges Licht auf den so vehementen Kampf Herbert Kickls gegen die „Sanktionen.“ Konnte man bisher annehmen, dass er nur sofort begriff, wie erfolgreich es sein musste, der Regierung vorzuwerfen, dass sie die aktuelle Teuerung verantwortet, indem sie sich den Sanktionen anschloss, so drängt sich immer mehr der Verdacht auf, dass Kickl recht gut wissen könnte, wie sehr er Putins Agenda unterstützt.

Wie Kickls meiste Behauptungen ist auch die, dass die Sanktionen die Teuerung ausgelöst hätten, falsch:  Die massive Drosselung der Öl-Förderung, die ihr zu Grunde liegt, wurde von der OPEC und Putin schon 2018/19 in Vorbereitung seines Krieges beschlossen. Und er benützte die Abhängigkeit der EU von seinem Erdgas auch dann als Waffe, wenn ihm keine Sanktionen angedroht worden wären, weil es seine mit Abstand stärkste Waffe gegen die Unterstützung der Ukraine ist. Eigentlich müsste Kickl zugestehen, dass er gegen diese Unterstützung ist – Alexander Van der Bellen hat begreiflicherweise erklärt, dass er ihn deshalb nicht mit einer Regierungsbildung betraute- aber Kickl muss dieses Eingeständnis nicht machen: Die Gleichzeitigkeit von Sanktionen und Teuerung genügt FP- Wählern, das eine für die Ursache des anderen zu halten.

Wie sehr die Sanktionen Putin schmerzen, geht nicht zuletzt aus dem aufgezeigten Bemühen hervor, sie aufzubrechen. Aber natürlich schmerzen sie auch uns. Es gibt nur zwei Sanktionen, die große Wirkung entfalten und null Probleme bereiten: Russland jeden Zugang zu Hochtechnologie zu sperren, denn das wirft seine industrielle Produktion auf Jahrzehnte hinaus zurück und erschwert zugleich unmittelbar seine Waffenproduktion. Und die Vermögen Russlands und aller Unterstützer Putins einzufrieren und sie bei der Reise in die EU dem Risiko der Verhaftung auszusetzen.

Die Einigung der EU auf einen maximalen Ölpreis, mindert zwar seine Einnahmen, aber es gibt genug Abnehmer außerhalb der EU, um diese Minderung nicht dramatisch ausfallen zu lassen. Für die Wirtschaft der EU ist weniger russisches Öl zwar auch nicht lebensgefährlich, aber doch ein Problem, weil Putin und OPEC auf diesen Höchstpreis mit dem Versuch reagieren, die Ölförderung noch weiter zu drosseln, so dass der Ölpreis nur langsam fällt, obwohl die USA wieder mehr in ihr Fracking investieren. Nur befördert weiterhin eher teures Öl wie nichts anderes die Erschließung alternativer Energien, die uns alleine befähigt, eine Klimakatastrophe abzuwehren.   

Weit kritischer wäre ein Erdgas- Höchstpreis, den die EU denn auch nicht beschlossen hat: Zwar könnte Russland sein Gas mangels Leitungen nicht so leicht teuer an andere Abnehmer verkaufen, aber Europa, Deutschland und allen voran Österreich litten dramatisch unter einem Lieferstopp: LNG aus den USA, das die Lücke vor allem füllen müsste, kostet das Doppelte.

Gleichzeitig strotzt die Hoffnung, dass der russische Staat durch Embargos pleite gehen könnte, wie Ratingagenturen glauben machten, nachdem sie die russische Währung auf Ramschniveau heruntergestuft hatten, von ökonomischer Ahnungslosigkeit: Staaten, die über eine eigene Notenbank verfügen, können immer für genug Geld sorgen. (Im Übrigen hat Russland trotz Beschlagnahmen auch noch ausreichend Devisen.) Genauso falsch ist die Hoffnung, dass Putin dank Embargos zu wenig Geld für Waffen und Munition haben könnte. Russische Waffen kauft er mit Rubeln, die ihm seine Notenbank beliebig liefern kann – ausländische Waffen braucht er nicht. Waffenimporte machen nur gerade 0,7 Prozent der gigantischen russischen Waffenexporte aus, die die zweitgrößten hinter der USA sind.

Mit Abstand am ehesten kann (soll) man Putin mit größeren Waffenlieferungen an die Ukraine am Schlachtfeld zum Einlenken zwingen – mit Rohstoff- Embargos kann man es nicht.

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Deutscher Pazifismus erschwert Frieden

So verständlich es ist, dass die Deutschen nicht mit Waffen und Krieg assoziiert werden wollen, so nachteilig ist es für Europas Sicherheitsarchitektur und die Ukraine

Die Reihe abgelöster deutscher Verteidigungsministerinnen ist symptomatisch: Weder Christina Lambrecht noch Ursula von der Leyen noch Annegret Kramp Karrenbauer hatten sich davor mit militärischen Fragen befasst. Lambrecht war zudem ein politisches Leichtgewicht und dankte ihre Ernennung voran dem Umstand, dass Olaf Scholz 50 Prozent Ministerinnen versprochen hatte. Die Vorwürfe, die schließlich dazu führten, dass sie durch Boris Pistorius ersetzt wurde – dass ihre erste Waffenlieferung In die Ukraine aus Helmen bestand und alle weiteren so langsam erfolgten wie die waffentechnische Erneuerung der Bundeswehr – sind natürlich voran Olaf Scholz zu machen. Er ist es, der sich so sehr scheut, im Ukraine-Krieg ähnlich kämpferisch wie Großbritanniens Rishi Sunak oder Frankreichs Emmanuel Macron zu agieren, und er nimmt damit nicht nur Rücksicht auf die Mehrheit der SPD-Wähler.  Scholz macht trotz „Zeitenwende“ klassische deutsche Nachkriegspolitik.

An sich ist denkbar verständlich, dass die Deutschen nach dem 2. Weltkrieg mit nichts weniger als mit Waffen assoziiert werden wollten. Bei vielen wurde die NS-Kriegsbegeisterung von einem unterbewussten Pazifismus in der Tradition der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin Berta von Suttner („Die Waffen nieder“) abgelöst, der einem Denkfehler Vorschub leistet: dass nämlich voran Waffen für Kriege verantwortlich wären. Schon die Wiederbewaffnung der BRD und ihr NATO-Beitritt bedurften des Drucks der USA und der Überzeugungskraft Konrad Adenauers, der schon Adolf Hitler mit Waffen entgegentreten wollte: Mein Großvater, der ihm als Polizeipräsident Nordrhein-Westfalens dabei Unterstützung zugesagt hatte, ließ ihn leider im Stich.

Scholz lässt die Ukraine nicht im Stich, aber er unterstützt sie mit angezogener Handbremse, weil er, wie Angela Merkel, die der Ukraine die Aufnahme in die Nato verweigerte, Angst hat, Putin zu sehr zu vergrämen. Dass ein bestens bewaffnetes Heer, die beste Absicherung des Friedens darstellt, ist unterbewussten Pazifisten fremd, auch wenn sie bewusst anerkennen, dass NATO- Mitglieder noch nie angegriffen wurden.

Voran den Nachkommen von Familien, die seinerzeit der NSDAP besonders nahestanden, fällt schwer, die NATO als friedlich anzusehen, wird sie doch von den USA angeführt. Dass die, anders als das überfallene Russland, aus moralischen Gründen am Krieg gegen Hitler beteiligt und seine Niederlage besiegelt haben, wird ihnen nie ganz verziehen. Obwohl Deutschland der NATO nach außen überzeugt angehören, ist sie vielen Deutschen so suspekt wie er Ruf nach militärischer Stäke des „Westens“. Jedenfalls hat die Scheu der Deutschen, mit Waffen assoziiert zu werden, zu einer der österreichischen Neutralität sehr nahen Haltung geführt: Deutschland schätzt Äquidistanz, tat sich schwer, sich am Nato -Einsatz gegen die Taliban zu beteiligen, und hielt sich, freilich zu Recht, aus der „Koalition der Willigen“ im Irakkrieg heraus.

Aber es liefert Kiew zu Unrecht keine Kampfpanzer. Denn trotz ihres großen Einsatzes können die Ukrainer ihre dramatische numerische Unterlegenheit nur mittels überlegener Waffen wettmachen, und nur ein militärisches Patt schafft sogar die winzige Möglichkeit eines Verhandlungsfriedens. Das Interesse daran wäre allerdings so klar zu signalisieren, wie die Bereitschaft zu Waffenlieferungen, um Putin nicht in die Lag zu bringen, die Joe Biden zu Recht fürchtet: dass er doch zu Atomwaffen greift. Es braucht intensive Diplomatie und schwere Waffen zugleich.

Denn trotz der aktuellen Erfolge der Truppen Wolodymyr Selenskyjs, etwa in Cherson, teile ich die Befürchtung des Militär-Analysten Markus Reisner, dass sie uns übersehen lassen, wie erfolgreich Putin die Infrastruktur der Ukraine zerstört: die befreiten Bürger im dunklen Cherson frieren. Auf die Dauer kann ein Land mit 43,8 Millionen Einwohnern dem Angriff eines Landes mit 150 Millionen Einwohnern ohne überlegene Waffen nicht standhalten. Beide Länder dürften bisher 100.000 Soldaten verloren haben – Putin kann sie problemlos ersetzen, Selenskyj nicht mehr lange. Mit billigen Drohnen aus dem Iran vermag Putin Stellungen der Ukraine so lange zu beschießen, bis deren Luftabwehr ihr Pulver verschossen hat und seine Marschflugköper gezielte Verwüstung anrichten können. Deutschland hat Selenskyj zum Zweck der Luftabwehr bisher 7 Haubitzen geliefert – aber nur Munition für zwei Tage. Ihr Nachschub stockt, weil die Bundeswehr sie nicht auf Lager hat und auch im Rest der EU Produktionskapazitäten fehlen. Dass Kampfpanzer trotz Drängens von Grünen und FDP vorerst nicht geliefert wurden, liegt auch daran, dass sie rar sind. Merkels Austerity-Pakt hat nicht nur die Bundeswehr kaputtgespart, sondern die Wehrkraft der EU als Ganzes minimiert, während Putin die Rüstung Russlands in Vorbereitung seiner Kriege maximiert hat.

Hier liegt das größte Problem, das Deutschland der EU aufbürdet: sie ist dank deutschen Sparens und seiner Scheu vor Waffen wehrlos. Nur ein militärisch starkes Deutschland könnte mit Frankreich den Kern einer EU-Streitmacht bilden, die nicht total auf die USA angewiesen ist. Dabei zeigt der Ukrainekrieg, dass kein US-Präsident seinem Volk künftig den Einsatz und die Kosten zumuten wird, die üblich waren, als Nikita Chruschtschow oder Leonid Breschnew Russland regierten – obwohl Putin aggressiver als beide ist.

 

 

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Was Sanktionen können- und was nicht

Die Teuerung wurde nicht, wie die FPÖ behauptet, durch die „Sanktionen“ ausgelöst– aber es werden falsche Hoffnungen an sie geknüpft. Ein Gas – Embargo wäre ein Eigentor

Dass die FPÖ bei den NÖ- Wahlen erstmals vor der SPÖ landet, war zu erwarten – dass alle Umfragen sie bundesweit vorne sehen ist eine sozialdemokratische Leistung: Indem Pamela Rendi-Wagner die Regierung mit den gleichen Worten wie Herbert Kickl kritisiert, bestärkt sie Ahnungslose in der Meinung, dass er rundum Recht hätte.

Die FPÖ kann noch so oft versagen – sie kommt zurück und wächst. H.C. Strache konnte einer angeblichen Oligarchin eben erst versprechen, ihr die Staatsaufträge zuzuschanzen, die er politischen Gegnern entzieht – die Wähler haben es vergessen. Es gibt keine Partei, die im Verhältnis zu ihrer Regierungsbeteiligung mehr Korruption verantwortet – die Vorgänge in der Grazer FPÖ sind symptomatisch – dennoch nehmen Wähler ihr ab, dass sie die Korruption beendet. Es gibt kein anderes Land, in dem eine faschistoide Grundhaltung ähnlich verbreitet wäre: die Überzeugung, dass „die da oben“ – die Politiker – unfähig wären, dass ein „starker Mann“ alles besser machte, und dass „wir“ – die Österreicher – ungleich besser als alle „anderen“ – Migranten und Ausländer – wären. Herbert Kickl wird H.C. Strache an Erfolg noch übertreffen, denn er hat die aktuell optimale Strategie entdeckt: Er behauptet, dass „die da oben“ – die Regierung – schuld an der aktuellen Teuerung wäre, indem sie sich an den „Sanktionen“ beteiligt hat, die nur „anderen“ – den Ukrainern – nützen. Wie Kickls meisten Behauptungen ist auch diese im Kern falsch: Die massive Drosselung der Öl-Förderung, die der hohen Inflation zu Grunde liegt, wurde von der OPEC und Putin schon 2018/19 in Vorbereitung seines Krieges beschlossen. Und Putin benützte die Abhängigkeit der EU von seinem Erdgas auch dann als Waffe, wenn ihm keine Sanktionen angedroht worden wären, weil es seine mit Abstand stärkste Waffe gegen die Unterstützung der Ukraine ist. Eigentlich müsste Kickl zugestehen, dass er gegen diese Unterstützung ist, und Alexander Van der Bellen hat zu Recht erklärt, dass er so jemanden nicht mit der Regierungsbildung betraute. Aber Kickl muss dieses Eingeständnis nicht machen: Die Gleichzeitigkeit von Sanktionen und Teuerung genügt FP-Wählern, das eine für die Ursache des anderen zu halten.

Dennoch gibt es in Kickls Argumentation auch ein Korn Wahrheit, auf das ich eingehen möchte. Es gibt nur zwei gegen Wladimir Putin gerichtete Sanktionen, die große Wirkung entfalten und uns mit Sicherheit null Probleme bereiten: Russland jeden Zugang zu Hochtechnologie zu sperren, denn das wirft seine industrielle Produktion auf Jahrzehnte hinaus zurück und erschwert zugleich unmittelbar seine Waffenproduktion. Und die Vermögen Russlands und aller Unterstützer Putins einzufrieren und sie bei der Reise in die EU dem Risiko der Verhaftung auszusetzen. Beides wird zwar nach menschlichem Ermessen weder Putin stürzen noch den Ukrainekrieg beenden, aber es kann dazu beitragen, ihn doch nach einem Kompromissfrieden suchen zu lassen.

Dagegen mindert ein Öl-Embargo der EU zwar Putins Einnahmen, aber es gibt genug Abnehmer außerhalb der EU, um diese Minderung nicht dramatisch ausfallen zu lassen. Für die Wirtschaft der EU ist weniger russisches Öl zwar auch nicht lebensgefährlich, aber doch mit Problemen verbunden. Dass der „Westen“ sich im Rahmen der Sanktionen auf einen Maximalpreis für russisches Öl zu einigen vermochte, beantworten Russland und OPEC seit 2022, indem sie die Förderung weiter zu drosseln suchen, so dass der Ölpreis nur in Grenzen fällt, obwohl die USA ihr Fracking ausweiten. Allerdings befördert weiterhin eher teures Öl wie nichts anderes die Erschließung alternativer Energien, die uns alleine befähigt, eine Klimakatastrophe abzuwehren.

Weit kritischer wäre ein Erdgas- Höchstpreis, den die EU denn auch nicht beschlossen hat: Zwar könnte Russland sein Gas mangels Leitungen nicht so leicht teuer an andere Abnehmer verkaufen, aber Europa, Deutschland und allen voran Österreich litten dramatisch unter einem Lieferstopp: LNG aus den USA, das die Lücke vor allem füllen müsste, kostet das Doppelte von russischem Gas. Für Deutschland vermochten deutsche Ökonomen für den Fall des Lieferstopps in ihrer Modellrechnung überhaupt keine tragfähige Zahl für das zu erwartende BIP-Minus zu ermitteln – für Österreich sähe es noch schlimmer aus.

Gleichzeitig strotzt die These, dass der russische Staat durch Embargos pleite gehen könnte, wie Ratingagenturen glauben machten, nachdem sie die russische Währung auf Ramschniveau heruntergestuft hatten, von ökonomischer Ahnungslosigkeit: Staaten, die über eine eigene Notenbank verfügen, können immer für genug Geld sorgen – sie können Geld nur schwer am Kapitalmarkt aufnehmen oder ihre Währung gegen Devisen tauschen. (Im Übrigen hat Russland trotz Beschlagnahmen auch noch ausreichend Devisen.) Genauso falsch ist die Vorstellung, dass Putin dank Embargos zu wenig Geld für Waffen und Munition für seinen Krieg haben könnte. Russische Waffen kauft er mit russischen Rubeln, die ihm seine Notenbank beliebig liefern kann – ausländische Waffen braucht er nicht. Waffenimporte machen nur gerade 0,7 Prozent der gigantischen russischen Waffenexporte aus, die die zweitgrößten hinter der USA sind.

Man kann (soll) Putin durch größere Waffenlieferungen an die Ukraine am Schlachtfeld zum Einlenken in seinem Krieg zwingen – durch Rohstoff- Embargos kann man es nicht.

 

 

 

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Die Leiden der Technik unter der Emotion

Kann Kernenergie grün sein? Können E-Autos das CO2 -Problems verschärfen? Kann Technik den Klimawandel am besten bekämpfen? Die Schwierigkeit, es sachlich zu diskutieren.

Wenn man Österreichs Krieg gegen Kernkraft für verfehlt hält, weiß man, dass man auf heftigsten sachlichen wie emotionalen Widerstand trifft. „Die Enttäuschung, dass der anlassgebende Beitrag redaktionell freigegeben wurde ist groß“, schrieb Falter-Leserin Christa Wieland an Florian Klenk. Ich muss hoffen, dass man auch in der Vielfalt redaktioneller Information einen Wert sehen kann: Texte, wonach Kernkraft gefährlich und unwirtschaftlich sei, sind so zahlreich, dass es erlaubt sein sollte, einmal auch die Argumente vorzubringen, die Hannes Androsch, Science Buster Werner Gruber, die EU- Kommission oder mich die Kernkraft nicht abschreiben lassen, seit gesichert ist, dass man ihren strahlenden Müll zu tragbaren Kosten endlagern kann, indem man ihn mit Neutronen beschießt.

Zu meinem Erstaunen bin ich auf vergleichbar emotionalen Widerstand gestoßen, als ich argumentierte, dass Technik den Klimawandel erfolgreicher bekämpfe, als „systemische Veränderung“.  Solarparks auf einem Hundertstel der Fläche der Sahara, so schrieb ich, könnten mehr CO2 vermeiden, als Energiesparappelle.

„Alle paar Wochen“, entgegnet Falter -Leser Jürgen Gehbert, „öffnet uns P.M. Lingens ein Schaufenster ins letzte Jahrtausend, als man gemeinhin noch dachte, Technologien könnten die Klimamisere ohne Notwendigkeit für systemische Veränderung lösen…Bei den meisten Menschen in der Energiebranche verursacht das höchstens Kopfschütteln… Trotz des Glaubens an neue Technologien bezweifelt er… dass ein E-Auto seinen CO2-Ausstoß senken könnte. Na ja, was will man da noch sagen?“

Statt etwas zu sagen zitiere ich Georg Brasseur, emeritierter Professor für elektrische Messtechnik der TU Graz: „Woher sollen wir genug Strom nehmen, um E-Autos sinnvoll zu betreiben? Es ist unverantwortlich von der Politik ein System durchsetzen zu wollen, von dem klar ist, dass es bei Vollausbau nicht funktionieren kann, da mehr Stromverbraucher ans Netz kommen, als grüne Kraftwerke gebaut werden“.

Bei der zentralen Frage, ob Technik mehr bringe, als systemischer Wandel vertiefte Falter-Leser Alexander Tillinger Gehberts Kritik an meiner Sicht so „Merken Sie denn nicht, dass Sie technisch und ökologisch in einem vergangenen Jahrhundert leben? Woran erkennt man Verbohrtheit? Daran, dass der Betroffene es selbst nicht merkt. Tragisch.“

Mittlerweile führen Tillinger und ich eine gewinnbringende sachliche Auseinandersetzung zu dieser Frage. So wusste ich, als ich meinen Text schrieb, nicht, dass es das Sahara-Projekt, das ich vorschlug bereits gibt und dass es unter dem Namen „Desertec“ beinahe verwirklicht worden wäre. Siemens -Ingenieure hatten nicht anders als ich errechnet, dass ein Solarpark auf einem Hundertstel der Fläche der Sahara genügend Energie für den ganzen Erdball liefern könnte. Die Anlage sollte in Tunesien errichtet werden und über ein Kabel durchs Mittelmeer Strom an Europa liefern.

Tillinger kannte das Projekt und wusste, warum es aufgegeben wurde. Den letzten Stoß versetzte ihm ein tunesischer Polit-Aktivist, der erklärte, dass es „kolonialer Ausbeutung“ diene – Tunesien solle Europa Strom liefern und nichts davon haben – doch Siemens bestreitet das glaubwürdig, denn der gemeinsame Vorteil ist evident. Entscheidend war vielmehr zweifellos, dass sich in Europa zum errechneten Preis nicht genügend Abnehmer für den Wüsten-Strom fanden.

Tillinger und mein Kollege Erwin Iwaniewicz nannten mir dafür gute Gründe: Es sei nicht mehr richtig, dass Großkraftwerke sich am besten eigneten, grüne Energie zu liefern, denn es entstünden zu große Verluste bei ihrem Transport an die Stelle, wo sie gebraucht wird. Zugleich wären Solarpanele so effizient und preiswert, dass es günstiger sei, sie vor Ort zu installieren. Zudem wären dezentrale grüne Stromquellen sicher vor militärischen Angriffen.

In Summe hätte mich das um ein Haar überzeugt, dass Wüstenstrom tatsächlich von gestern ist, wenn Professor Brasseur nicht behauptete: „Grüne Energie sollte dort hergestellt werden, wo sie gut geerntet werden kann. Die gleichen Solarzellen erzeugen in Nordafrika bei gleichem Ressourceneinsatz zwei bis dreimal soviel Energie wie in Mitteleuropa.“

Davon geht der Brite Simon Morish aus, dessen Firma Xlinks derzeit in Marokko auf 15.000 km2 einen Solarpark errichtet, der grünen Strom nicht mehr wie Siemens mit Parabolspiegeln, sondern mit Solarpanelen erzeugt und ab 2028 an Großbritannien liefern soll. Marokko hat Xlinks die dafür benötigte Fläche verpachtet, obwohl kein Strom nach Marokko fließt, denn es hat genügend eigene Solarparks und freut sich über die von Morish geschaffenen Jobs. Die Megawattstunde Strom soll nicht einmal ein Zehntel des für Desertec errechneten Betrages kosten und über ein neuartiges Hochspannungs-Gleichstromkabel mit minimalen Verlusten acht Prozent des britischen  Bedarfs decken.

Das diesbezüglich führende Frauenhofer Institut für Solare Energiesysteme hält das Projekt für erfolgversprechend, statt es dem vergangenen Jahrhundert zuzuordnen. Für das aktuelle Jahrhundert erhoffe ich daher ein gleichermaßen von weltpolitischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen geformtes, maximal ergiebiges Nebeneinander von Wüsten-Solarparks, Windparks im Meer, Kernkraft und lokalen Solarpanelen und Windrädern. Die jeweils verwirklichte Lösung wird immer eine technische sein – aber es bedarf vermutlich eines systemischen Wandels, sie sachlich zu diskutieren.

 

 

 

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Teure Geschenke für die ÖVP- Klientel

Die Regierung unterstützt Unternehmen, die weder durch die hohen Energiekosten noch durch Konkurrenz gefährdet sind. Das vermindert Investitionen gegen den Klimawandel

Die Aktionen der „letzten Generation“ sind mir denkbar unsympathisch: Wenn Gemälde angeschüttet oder Konzerte gestört werden, wird das Beste entwertet, was die Menschheit geschaffen hat: Kunst. Gleichzeitig habe ich für diese Aktionen größtes Verständnis: Zehn Minuten Unterbrechung des Neujahrskonzerts wären keine Katastrophe gewesen – die Klimakatastrophe kostete Millionen Menschen das Leben. Sie zu verhindern ist die mit Abstand wichtigste Aufgabe unserer Generation und wir sind damit dramatisch im Rückstand: Ohne Lockdowns hätte sich der CO2-Ausstoß der EU um nichts verringert – in Österreichs ist er sogar gestiegen.

Meines Erachtens bestünde die wirksamste Gegenmaßnahme darin, die Chinesen bei der Errichtung eines Mega-Solarparks in der Wüste Gobi zu unterstützen, mit dessen grünem Wasserstoff sie den CO2-Ausstoß ihrer gigantischen Stahlproduktion verringern könnten. Dass die von der EU mit dem Programm „Fit for 55“ ergriffenen Maßnahmen ihren CO2-Ausstoß ausreichend verringern, bezweifle ich: Die Investitionen in grüne Energie sind weiterhin zu niedrig, die CO2-Steuern nicht hoch genug. Auch der Erfolge der aktuell prominentesten Maßnahme, die sündteure Förderung der E- Mobilität scheint mir unverändert problematisch: Mit dem Professor der TU Graz Georg Brasseur fürchte ich, dass der für Millionen E- Autos zusätzlich benötigte Strom in den meisten Ländern noch lange mittels Kohle hergestellt werden muss. Denn zusätzlichen grüner Strom verbrauchten künftig ja auch Millionen Wärmepumpen, die großen Stahlschmelzen, vor allem aber alle Produktionsanlagen die bisher mit fossiler Energie betrieben wurden und „grün“ werden sollen. Zwar hat Österreichs Regierung die Förderung betrieblich genutzter E-Fahrzeuge heuer etwas reduziert, aber das reduziert einen meines Erachtens grundsätzlichen Fehler nur marginal.

Dennoch musste ich der Regierung einen bisher vernünftigen Umgang mit verteuerter Energie bescheinigen: Sie hat begriffen, dass der Staat nicht Jedem finanziell beistehen, sondern nur die Schwachen unterstützen kann. Mindestens die Hälfte der Österreicher kann die höheren Benzin- Gas- Strom- oder Nahrungsmittelpreise, wenn auch verärgert, stemmen. Sie mit Steuergeld zu unterstützen, hieße, Ihnen Geld zu geben, das ihnen als Steuerzahler gleich wieder abgenommen werden müsste. Als besonders dumm hat sich die „Deckelung“ durch Abschaffen einer Steuer erwiesen. Dass Deutschlands Finanzminister die Mehrwertsteuer auf Treibstoff senkte hat den Staat rund drei Milliarden Euro Steuereinnahmen gekostet und den Preis von Treibstoff kaum gesenkt – nur die Gewinne der Unternehmen erhöht, die damit handeln. Das gilt im Prinzip auch für die von der SPÖ unverdrossen geforderte Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Der mögliche Steuerausfall wäre aber so gering, dass man diese Maßnahme, um ihrer Popularität willen, riskieren kann: vielleicht reagiert der Lebensmittelhandel nicht ganz wie der Treibstoffhandel. Normalerweise ist es immer kostengünstiger, die Beihilfen für die wirklich sozial Schwachen deutlich zu erhöhen, wie das die Regierung getan hat, und der Gesamtbevölkerung nur gewisse Mindestkontingente an Energie verbilligt zur Verfügung zu stellen. Die Treffsicherheit war damit nicht optimal – aber das war sie nirgends.

Jetzt aber geht es um die noch viel schwierigere Unterstützung der Industrie. Anders als bei den Bürgern muss ihre Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden. Deutschland hat zu diesem Zweck große Beträge lockergemacht, obwohl das nicht automatisch einleuchtet: Die Verteuerung der Energie hat ja selbst die USA oder China nicht viel anders als die EU getroffen, so dass sich an den Konkurrenzverhältnissen nicht so viel geändert haben sollte – schon gar nicht innerhalb der EU oder innerhalb Österreichs. Aber wenn Deutschland „wummst“, müssen wir als wichtigster Handelspartner nachziehen. Freilich nur bei den Unternehmen, die mit deutschen Unternehmen in Konkurrenz stehen und denen die hohen Energiepreise auch ernsthaft schaden. Bisher hat man diesbezüglich unterschieden- jetzt hat die ÖVP durchgesetzt, dass es kaum mehr Unterscheidungen gibt: Auch Unternehmen ohne jede deutsche Konkurrenz und ohne übermäßige Energiekosten- etwa Hotels- erhalten gewaltige Unterstützung. Dürften einem Unternehmen im deutschen Modell heuer 14 Prozent der Energiekosten ersetzt werden, so dürften es im österreichischen Modell 45 Prozent sein.

Zwar hat Österreich gemäß EU-Vorgabe wie Deutschland fünf Förderstufen, in denen mit der Höhe der Förderung und deren Länge auch immer strengere Bedingungen erfüllt sein müssen, aber in Österreichs unterster Förderstufe ist sind Unternehmen nicht gezwungen, eine gewisse Mindest- Energie-Intensität nachzuweisen. Damit steigt die für Unternehmensförderung vorgesehene Summe von 1,5 auf fünf bis zu neun Milliarden.

Gleichzeitig wird die Körperschaftssteuer von 25 Prozent auf 23 Prozent im Jahr 2024 gesenkt, weil das angeblich die Investitionen fördert. Die Realität: in den letzten Jahrzehnten wurden die ursprünglich auf Unternehmensgewinne entfallenden Steuern halbiert und die Investitionen sind so gering wie nie zuvor, weil sie von ganz anderen Kriterien abhängen. In Summe erfüllt die grün-schwarze Regierung damit unnötig Forderungen schwarzer Klientel – das kostet den Staat Geld für nötige Investitionen in grüne Energie.

 

 

 

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Was bekämpft den Klimawandel am besten?

Technologie als Waffe im Kampf gegen den Klimawandel klingt weniger fortschrittlich als die Forderung nach systemischer Veränderung. Ist das so? Ein Versuch es zu prüfen

Meine Kommentare zu “Wasserstoff” und einem “gangbaren Ausweg aus der Klimakrise” haben einen kritischen Leserbrief provoziert, auf den ich eingehen möchte. “Alle paar Wochen”, so schrieb Ingenieur Jürgen Gebert, “öffnet uns P.M. Lingens ein Schaufenster ins letzte Jahrtausend als man gemeinhin noch dachte, Technologien könnten die Klimamisere lösen. Die Probleme mit seinen Vorstellungen einer techno-ökologisch sauberen Zukunft ohne Notwendigkeit für systemische Veränderungen:

  • Bei Menschen in der Energiebranche (wie mir) verursacht es höchstens Kopfschütteln, wenn er die Marktreife und Wettbewerbsfähigkeit von Technologien völlig übertrieben darstellt. z B sind künstliche Treibstoffe (E-Fuels) so lächerlich ineffizient, dass sogar Autoklubs ihnen keine Zukunft voraussagen.
  • Trotz des Glaubens an neue Technologien bezweifelt er …dass ein E-Auto oder eine neue Therme seinen CO2-Ausstoß senken könnten. Na ja, was will man da noch sagen? Der wissenschaftliche Konsens ist halt ein anderer.”

Diese Kritik ist im Kern substanziell: Ich halte den Einsatz moderner Technologie im Kampf gegen den Klimawandel in der Tat für weit erfolgsversprechender, als “systemische Veränderung”. Daher möchte ich nur so kurz wie möglich auf Geberts Detailkritik eingehen. In Bezug auf E-Fuels schrieb ich: “Genau so wenig werde ich mein Auto hysterisch gegen ein E-Auto tauschen. Voran weil ich zweifle, dass das den CO2-Ausstoß senkt, solange der für Millionen E-Autos zusätzlich gebrauchte Strom selbst in Österreich mittels Öl, Gas und Kohle erzeugt werden muss …am Rande, weil Österreich mit AVL List ein Unternehmen besitzt, das in der Lage ist, bezahlbare künstliche Treibstoffe herzustellen…” Das Wort “bezahlbar” war in der Tat übertrieben: Lists- E-Fuels kosten derzeit das Dreifache von Benzin. Ob sie in Zukunft irrelevant sind, sehen Autoklubs offenbar unterschiedlich: “Langfristig setzt der ADAC auf E-Fuels und Wasserstoff aus regenerativen Quellen.” schrieb 2022 der deutsche Autofahrerklub. Das Industriemagazin, meint “dass E-Fuels”, in denen ich nur ein Randphänomen sehe, “früher den Ton angeben könnten, als bisher angenommen.” Die Meinung dass E- Autos den CO2 Ausstoß nicht senken, teile ich mit dem Ingenieure Kai Ruhsert, der das in dem Buch “Der Elektroauto-Schwindel” wie ich, aber mit exakten Zahlen, begründet. Bezüglich Gasthermen schrieb ich dass ich auch sie “nicht überhastete gegen eine Wärmepumpe tauschen werde”, und glaube dafür folgende Gründe zu haben: An klassizistischen Fassaden wird man Wärmepumpen nicht befestigen dürfen und auf den Dächern werden ihnen die dort erhofften Solarpanele im Weg sein. Darüber hinaus sind die Kosten trotz Subvention gewaltig, so dass ich für sinnvoller halte, die Thermen zu geringen Kosten für den Betrieb mit einem Gemisch aus Erdgas und 30 Prozent Wasserstoff zu adaptieren. Der CO2 Ausstoß wird damit zwar nur um 30 Prozent verringert, aber die Lösung ist erschwinglich. Besser kann nur überlegene Technologie das Problem lösen: Wien plant bekanntlich ein wesentlich erhöhtes Angebot von Fernwärme indem man zu ihrer Erzeugung in Großanlagen Klärschlamm und ein unter der Stadt vermutetes Reservoir heißen Wassers nutzt.

Damit bin ich beim Kern unsrer Auseinandersetzung: Meiner Überzeugung, dass Technologie den Klimawandel erfolgreicher bekämpft, als “systemischer Wandel”, obwohl ich das herrschende System wie jeder ökonomisch Interessierte, natürlich auch hinterfrage: Warum halten Geräte so schlecht, dass man sie alle 5 Jahre unter hohem CO2 Ausstoß neu produziert? Weil die Menschen das Neueste haben wollen und der CO2 -Preis es nicht entfernt verhindert! Wieso kostet CO2-intensiver Transport so wenig, dass es lohnt schwere deutsche Autos in den USA zu verkaufen? Weil der globale Freihandel so große Serien zulässt, dass sich Autos erheblich verbilligen! Warum muss die Wirtschaft jedes Jahr wachsen, obwohl unser Wohlstand auch durch bloße Akkumulation ständig wächst? Weil wir nie genug Wohlstand haben und glauben, Arbeitslosigkeit nur so in Grenzen zu halten! Nicht dass ich diese Begründungen immer für richtig halte – ich halte “systemische Änderungen” nur für extrem schwierig und langwierig.

Um es an der Reduktion des CO2-Ausstoßes der EU festzumachen: Die diesbezüglichen Fortschritte waren in dreißig Jahren groß genug, um das Ziel einer Senkung von 20 Prozent unter das Niveau von 1990 zu erreichen. Allerdings nur dank Covid-19 Lockdowns. Eine Fortsetzung des durchschnittlichen Tempos der Senkung zwischen 1990 und 2018 reicht nicht entfernt, das für 2030 angestrebte Ziel einer Reduktion um 40 Prozent zu erreichen.

Dem stelle ich gegenüber, was ich empfohlen habe und hier detailliere: man möge eine Million von 90 Millionen Quadratkilometern der Sahara zur Erzeugung grüner Stroms nutzen. Die Technologie ist erprobt. Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, über die sich die Sahara voran erstreckt sind keine düsteren Diktaturen – mit ihnen ein Viertel des erzeugten Stroms als Pacht zu vereinbaren nützt ihnen mehrfach. Die Errichtung einer solchen Photovoltaikanlage dauert auch nicht zu lang: Eine der bisher größten, der Pavagada Solar Park, wurde in Indien auf 53 Quadratkilometern in acht Monaten errichtet und leistet 2.050 Megawatt. Der aktuelle Strombedarf der Welt liegt bei 25.000 Terawattstunden. Der empfohlene Sahara- Solarpark deckte also sogar einen kräftig wachsenden Bedarf ab.

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