Der deutsche Kanzler verweigert weiterhin eine Waffenlieferung, die Wladimir Putin zu Verhandlungen bewegen könnte. Seine Begründung ist unzutreffend.
Kanzler Olaf Scholz hat endlich erklärt, warum Deutschland der Ukraine keine Taurus- Marschflugkörper liefert: Ihre große Reichweite von 500 Kilometern, mit der selbst Moskau erreichbar wäre, und der Umstand, dass deutsche Taurus-Spezialisten vor Ort sein müssten, um das Waffensystem zu bedienen, berge die Gefahr, dass Putin Deutschland als Kriegspartei ansieht und dieses Risiko ginge er nicht ein.
Das Problem der Reichweite
Richtig daran ist, dass Wolodymyr Selenskyj keine andere Waffe von dieser Reichweite zur Verfügung hat: Die von Groß Britannien und Frankreich gelieferte Marschflugkörper „Storm Shadow“ und „Scalp“ erreichen nur Ziele in 250 Kilometer Reichweite – um eine Stadt innerhalb Russlands zu erreichen, reichte das freilich auch. Richtig ist ferner, dass Scholz mit der Lieferung von Taurus nicht mehr in Gleichklang mit Joe Biden handelte, denn der lieferte bisher nur ATACMS- Raketen mit 163 km Reichweite, versprach allerdings solche mit größerer Reichweite zu liefern, die derzeit allerdings so wenig eingetroffen sind. wie die von den Republikanern blockierten Milliarden. Allerdings hat auch Biden sehr lange gezögert, der Ukraine Raketen mit größerer Reichweite zuzusagen, und der Grund für sein Bedenken, war vermutlich der gleiche, wie bei Scholz: sie reichen bis weit nach Russland.
Natürlich hat Selenskyj immer geschworen, Raketen oder Marschflugkörper nicht auf Ziele innerhalb Russlands abzufeuern und hat sich daran bisher auch gehalten, aber da Wladimir Putin mittlerweile auch die annektierten Teile des Donbas und die Krim als russisches Gebiet betrachtet, kann er jederzeit einen Angriff auf Russland behaupten, wenn Selenskij irgendeines der angeführten Waffensysteme einsetzte.
Zwangsläufig – und das sagt er auch – wäre es der wesentlichste militärische Zweck dieser Einätze Putins Truppen vom Nachschub abzuschneiden und etwa auch eine auffahrende Panzerkolonne zu zerstören. Alle genannten Systeme können das, denn sie finden ihre Zeile sehr präzise und fliegen so niedrig, dass Radarschirme sie schwer entdecken. Sofern der Abschuss von Lastwagen oder Panzern aus erfolgt, können diese auch rasch wieder in Deckung gelangen. Noch leichter können die Flugzeuge entkommen, die Taurus Marschflugkörper abfeuern. her. Jedenfalls kann der Gegner die jeweilige Abschussvorrichtung nur sehr schwer gleich wieder ausschalten.
Alle genannten Systeme sind zwar meines Erachtens für sich alleine noch kein Game-Changer, aber sie könnten das Momentum im Ukrainekrieg von Russland zur Ukraine hin verlagern und Taurus könnte das in besonders hohem Ausmaß. Dass seine Verwendung zwingend deutsch Soldaten vor Ort braucht, wird von Experten bezweifelt. Auch in Spanien und Südkorea, das Taurus-Marschflugkörper gekauft hat sind offiziell keine deutschen Soldaten vor Ort, wobei sich Südkorea formal nach wie vor im Krieg mit Nordkorea befindet. Im Übrigen wäre es völkerrechtlich natürlich zulässig, dass Deutschland die angegriffene Ukraine nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Soldaten vor Ort unterstützt, ja sie könnte die gesamte Bundeswehr in die Ukraine entsenden und handelte völkerrechtlich unverändert korrekt. Ob Putin Deutschland „Kriegspartei“ nennt, ist diesbezüglich völlig unerheblich- sicher betrachtet er es seit langem als solche. Wesentlich ist, wie sinnvoll es ist, die Ukraine durch Taurus erheblich zu stärken und wesentlich ist wie Putin darauf reagiert.
Militärisch sinnvoll ist es zweifellos im höchsten Ausmaß, denn die Ukraine befindet sich derzeit bereits in der Defensive und nur wenn es ihr gelingt, militärische Vorteile gegenüber Russland zu erringen besteht zumindest die Chance, dass Putin zu Verhandlungen bereit ist.
Putin ist kein Narr
Entscheidend ist die Frage, wie Putin auf die Taurus -Lieferung reagiert, und eines glaube ich sicher zu wissen: Er griffe bestimmt kein NATO-Land, schon gar nicht Deutschland an. Denn solange Joe Biden die USA noch regiert, bedeutete das für Putin Krieg mit der NATO, den er unmöglich gewänne, und so dumm, dieses Risiko einzugehen ist er bei allem Sendungsbewusstsein nicht. Dass er den Verstand verliert und doch angreift, ja Atomwaffen einsetzt, halte ich nur dann für möglich, wenn auch sehr unwahrscheinlich, wenn man ihm eine Niederlage zufügte, die ihm keine Chance lässt, wenigstens innerhalb der Sowjetunion sein Gesicht zu wahren. Das ist, so meine ich, auch das Risiko, das Joe Biden nicht eingehen will. Denn sich in dieser Einschätzung Putins geirrt zu haben hieße, man hätte den Weltuntergang in Kauf genommen. Das Risiko, Taurus-Marschflugköper zu liefern und der Ukraine damit doch wieder die Chance zu Verhandlungen zu eröffnen, halte ich hingegen für sehr wohl tragbar. Im Übrigen hätte es diese Chance schon früher gegeben, wenn die Gegenoffensive der Ukraine erfolgreich gewesen wäre – und das wäre sie gewesen, wenn Scholz rechtzeitig, bevor Russland die Frontlinie massiv befestigen konnte, schwere Panzer geliefert hätte.
Scholz` Zaudern und Zögern gereicht ihm nicht nur innenpolitisch zum Nachteil, es ist ein weltpolitisches Unglück.